Die Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich – Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt – Dritte, überarbeitete und ergänzte Ausgabe (2021) wurde in der Vollversammlung der Österreichischen Ordenskonferenz am 10. Mai 2021 und in der Som- mervollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz von 14. bis 16. Juni 2021 beschlossen. Die Diözesanbischöfe erteilten der Verfahrensordnung (Teil C) dieser Rahmenordnung einzeln ihre Zustimmung im Sinne can. 455 § 4 CIC 1983. Mit Schreiben vom 29. Mai 2021 teilte die Kongregation für die Glaubenslehre mit, dass ihrerseits keine Einwände gegen die vorliegende Neufassung der Rahmenordnung bestehen. Die Rahmenordnung tritt mit 1. September 2021 in Kraft.
Seit mehr als zehn Jahren ist es unser aufrechtes Bemühen, die Wunden, die von Klerikern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pastoral und in kirchlichen Einrichtungen durch Gewalt und Missbrauch geschlagen worden sind, wahrzunehmen und entschlossen aufzuarbeiten.
Über Jahrzehnte hat man sich diesen Klagen verschlossen; wir wollen diese leidvollen Erfahrungen nicht mehr übersehen und überhören. Dazu dient diese Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Sie wollte ab Juni 2010 allen Betroffenen das erforderliche Gehör und einen Weg der Aufarbeitung durch unabhängige Stellen nach einem klaren Konzept erstellen und möglich machen. Dieser rasch erstellte Verfahrensweg – aus der Erkenntnis der Notwendigkeit, sehr schnell handeln zu sollen – erfuhr mit den praktischen Erfahrungen einiger Jahre Tätigkeit eine erste Überarbeitung, um aufzugreifen und weiterzuentwickeln, was an Kritikpunkten aufgezeigt wurde. Auch Entwicklungen außerhalb des Einflussbereichs der Kirche wirkten sich aus, z. B. die Einführung des Heimopferrentengesetzes 2017.
Nach zehn Jahren zeigte sich die grundsätzliche Stärke des Regelwerks und seiner Grundsätze ebenso wie die Notwendigkeit weiterer Adaptierungen. Mit praktischen Erfahrungen aus den beteiligten Gremien und Rückmeldungen der Betroffenen wurden nun weitere Anpassungen angeregt und beschlossen, die zur Erstellung der dritten Fassung der Rahmenordnung führten. Die Aufarbeitung vergangenen Unrechts in einer ehrlichen Gewissensprüfung bleibt unsere Aufgabe und die Schärfung der Achtsamkeit für die schmerzliche Problematik unser Ziel. So ist seit einigen Jahren der wichtige Ansatz der Präventionsarbeit gewachsen, die vor allem durch die Stabsstellen für Präventionsarbeit in den einzelnen Diözesen geleistet wird. Es bleibt unser aller Aufgabe, mit dem klaren Blick auf den Umgang mit den uns anvertrauten Menschen, vor allem den besonders Schutzbedürftigen, die Wahrnehmung und Verpflichtung auf einen guten und wertschätzenden Umgang miteinander einzumahnen und einzufordern. Dies muss ein Grundprinzip unseres christlichen Handelns sein.
Alle Maßnahmen zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und besonders schutzbedürftigen Erwachsenen werden weit über den kirchlichen Einflussbereich hinauswirken und dienen dem Zweck, unentschuldbares Leid nicht nur aufzuarbeiten, wenn es passierte, sondern möglichst zu verhindern. Dabei sehen wir auch den Vorwurf von geistlichem Missbrauch, der seit einiger Zeit gelegentlich vorgebracht wird; auch dieses Thema wird im Blickfeld bleiben müssen.
Wir sind uns einig, dass es in der Aufarbeitung kein Vertuschen, keine leeren Entschuldigungen und kein Wegsehen mehr gibt, die Aufarbeitung erfolgt konsequent. Für uns gilt auch künftig das Wort von Papst Franziskus: „Es ist ein schmerzhafter Prozess, aber auch ein Trost, bei der Aufarbeitung helfen zu können …“ (Papst Franziskus auf dem Rückflug von Dublin, August 2018). Danke allen, die sich an dieser Aufgabe beteiligen! So übergebe ich die 3. Fassung der Rahmenordnung in der Hoffnung, gemeinsam einen weiteren guten Schritt der Aufarbeitung und vor allem der Prävention fortsetzen zu können!
Salzburg – Wien,
im Juni 2021
Erzbischof Dr. Franz Lackner OFM
Vorsitzender der Bischofskonferenz
Gebet
(Dieses Schuldbekenntnis wurde beim Bußgottesdienst in der Karwoche am 31. März 2010 im Stephansdom in Wien gebetet.)
Dreieiniger Gott, Du hast unsere Mütter und Väter aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt und sie die 10 Gebote eines guten Lebens gelehrt. Du bist in Jesus Christus Mensch geworden und hast uns gezeigt, dass die Liebe in allem die Grundregel ist. Du bist bei uns als Heiliger Geist, um uns zu führen. Dennoch werden wir schuldig, vor Dir und aneinander. Ungeheure Schuld ist in diesen Wochen offenbar geworden. Es ist Schuld einzelner; es ist Schuld geronnen in Strukturen, Verhaltens- und Denkmustern; es ist Schuld aus unterlassener Hilfe und nicht gewagtem Widerspruch. Die Verantwortung dafür trifft uns als Glieder der Kirche sehr unterschiedlich. Dennoch sind wir gemeinsam Dein Volk und wir stehen in einer gemeinsamen Verantwortung. So bekennen wir Dir und einander unsere Schuld:
Wir bekennen, dass wir nicht Gott alleine gefolgt sind, sondern den Götzen unserer Bedürfnisse nach Herrschaft und Überlegenheit.
Einige von uns haben genau dazu andere und sogar Kinder missbraucht.
Wir bekennen, den Namen Gottes, der Liebe heißt, verdunkelt und verraten zu haben.
Einige von uns haben vom lieben Gott geredet und doch Schutzbefohlenen Böses angetan.
Wir bekennen, die Sakramente und andere Zeiten und Orte der besonderen Gottesbegegnung nicht heilig gehalten und nicht gut genug geschützt zu haben.
Einige von uns haben sie als Gelegenheiten zum Übergriff benutzt.
Wir bekennen, dass wir die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern nicht aus unbedingtem Respekt vor den anderen gestaltet haben. Einige von uns haben das Vertrauen von Kindern ausgenützt und zerstört.
Wir bekennen, die Zerstörung von Leben und Lebensglück nicht wahrgenommen, nicht verstanden und verharmlost zu haben.
Einige von uns sind schuldig geworden am inneren Tod anderer Menschen.
Wir bekennen, dass wir die Leiblichkeit nicht wertgeschätzt haben und an der Aufgabe, Sexualität gut zu leben, gescheitert sind.
Einige von uns haben sexuelle Gewalt angewendet.
Wir bekennen, dass wir die Jugend, die Schönheit, die Lebendigkeit anderer Menschen für uns haben wollten.
Einige von uns haben Buben und Mädchen dadurch die Kindheit gestohlen und sie der Fähigkeit beraubt, gelingende Beziehungen zu leben.
Wir bekennen, dass wir die Wahrheit nicht erkennen wollten, dass wir vertuscht und ein falsches Zeugnis gegeben haben.
Einige von uns konnten dadurch andere und sich selbst weiter belügen und ihre Verbrechen fortführen.
Wir bekennen, dass wir über andere verfügen und sie besitzen wollten.
Einige von uns haben sich deshalb der Körper der Schwächsten bemächtigt.
Wir bekennen, begehrt zu haben nach Sicherheit, Ruhe, Macht und Ansehen.
Einigen von uns war der Anschein der Makellosigkeit der Kirche wichtiger als alles andere.
Wir, Gottes Volk, seine Kirche, tragen miteinander an dieser Schuld.
Wir bekennen diese Schuld den vielen, an denen wir als Kirche und einige von uns ganz konkret schuldig geworden sind.
Wir bekennen diese Schuld einander, denn die Kirche ist schuldig geworden an ihren Gliedern.
Wir bekennen Dir Gott unsere Schuld.
Wir sind bereit, unsere Verantwortung für Geschichte und Gegenwart anzunehmen, einzeln und gemeinsam. Wir sind bereit, unsere Denk- und Handlungsmuster aus dem Geist Jesu zu erneuern und an der Heilung der Wunden mitzuwirken. Wir stellen uns als Kirche in das Gericht Christi. Du, Christus, sagst, dass Du unsere Schuld auf Dich genommen hast. Doch heute bitten wir Dich: Lass sie uns noch ein wenig. Hilf uns, ihr nicht zu schnell auszuweichen, mach uns bereit, sie anzunehmen – jeder die eigene Schuld und wir gemeinsam die gemeinsame. Und dann gib uns Hoffnung im Gericht: Hoffnung auf die neue Freiheit aus der Wahrheit und auf die Vergebung, auf die wir kein Anrecht haben.
Amen.
Leitgedanken
von Papst Franziskus
In den vergangenen Jahren haben wir Gott sei Dank ein besonderes Bewusstsein für diese Probleme (verschiedene Arten des Missbrauchs) festgestellt. Die Kultur des Missbrauchs, sei es sexueller Art oder von Macht und Gewissen, wurde zuerst von den Opfern und ihren Familien angeprangert, die trotz ihres Leidens ihren Kampf für Gerechtigkeit führten und dazu beitrugen, die Gesellschaft auf diese Perversität aufmerksam zu machen und zu heilen.
Ich werde auch nicht müde, mit Trauer und Scham davon zu sprechen, dass diese Missbräuche auch von einigen Mitgliedern der Kirche begangen wurden. In den vergangenen Jahren haben wir wichtige Schritte unternommen, um Missbräuche abzustellen und eine Kultur der Fürsorge zu schaffen, die rasch auf Anschuldigungen reagieren kann. Die Schaffung einer Kultur der Fürsorge wird Zeit brauchen, sie ist aber eine unvermeidliche Verpflichtung, auf der wir mit aller Deutlichkeit bestehen müssen. Es darf keinen Missbrauch – sexueller Art oder von Macht und Gewissen – mehr geben, weder innerhalb noch außerhalb der Kirche.
Wir haben dieselbe Bewusstwerdung überall in der Gesellschaft gesehen. In der #MeToo- Bewegung, in den vielen Skandalen um mächtige Politiker, Medienmacher und Geschäftsleute – Raubtiere unter den Menschen. Eine Geisteshaltung wurde aufgedeckt: Wenn man alles haben kann, wann man will, warum dann nicht auch junge Frauen sexuell ausnutzen, Frauen, die zu ihnen aufschauen und bestrebt sind, zu gefallen? Die Sünden der Mächtigen sind fast immer Sünden der Anspruchshaltung, begangen von Menschen, deren Schamlosigkeit und dreiste Arroganz atemberaubend sind. In der Kirche ist dieses Gefühl der Anspruchshaltung das Krebsgeschwür des Klerikalismus, wie ich es nenne, eine Perversion dessen, wozu Priester berufen sind.
Aber in allen Fällen ist die Wurzel der Sünde die gleiche. Es ist die alte Sünde derer, die glauben, dass sie ein Recht darauf haben, andere zu besitzen, die keine Grenzen kennen und schamlos glauben, die anderen nach Belieben benutzen zu können. Es ist die Sünde, den Wert einer Person nicht zu respektieren.
(…) Es ist richtig und gerecht, dass Menschen ihre Würde bei allen Formen von Missbrauch zurückfordern. Missbrauch ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde, die wir nicht zulassen können und gegen die wir weiterhin ankämpfen müssen.1
Teil A - Grundlagen
Zum Verständnis von Missbrauch und Gewalt gegenüber Kindern, Jugendlichen und schutzbedürftigen Personen
A.1 Grundsätzliches zu Sexualität
Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist für jeden Menschen ein lebenslanger Prozess. Dazu gehören wesentlich auch die Entdeckung und Kultivierung der eigenen sexuellen Identität. Die Geschlechtlichkeit des Menschen, der vom Schöpfer „als Abbild Gottes (…), als Mann und Frau“2 geschaffen wurde, gehört untrennbar zum Menschsein. Wie die anderen Begabungen wächst und entwickelt sich die Leiblichkeit der Person durch unterschiedliche Stadien hindurch und kommt zur Reife, nämlich zu der Fähigkeit zur Entwicklung zwischenmenschlicher personaler Beziehungen. Jeder Mensch erfährt seine geschlechtliche Verfasstheit in Form seiner sexuellen Identität als konstitutiven Teil seiner Persönlichkeit. Sexualität als liebevolle und lustvolle Erfahrung der Leiblichkeit, der eigenen und der der Partnerin bzw. des Partners, ist somit nicht ein Drang, der von außen zum Menschsein hinzukommt, sondern gehört zum Innersten der menschlichen Person, die nach christlicher Auffassung als Einheit von Leib und Seele, von Körper und Geist verstanden wird.
Jede Reduzierung auf einen Teilaspekt der Person, etwa in der Verneinung und Ablehnung des Körperlichen oder in dessen Überbewertung, verstellt den Blick auf das Ganze des Menschen und birgt somit die Gefahr, ihn, sich selbst oder die andere bzw. den anderen zur reinen Befriedigung seiner Bedürfnisse zu missbrauchen. Das aber wäre purer Egoismus, der mit Liebe nichts zu tun hat. Sexueller Missbrauch gründet oft in einer nicht gelungenen Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit eines Menschen oder in einer gestörten psychosexuellen Entwicklung.
Der Entwicklungsprozess zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Persönlichkeit bedarf insbesondere im Kindes- und Jugendalter der achtsamen und wertschätzenden Begleitung und Erziehung durch die Verantwortlichen: Eltern, Familie, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Verantwortliche in der Kinder- und Jugendarbeit und Seelsorgerinnen und Seelsorger. Dieser Prozess erfordert neben der Sozialkompetenz im Umgang mit jungen Menschen die eigene sexuelle Reife und das Wissen um grundlegende Eigenheiten der geschlechtlichen Entwicklung und entwicklungspsychologische Erkenntnisse.
Eine christliche Begleitung junger Menschen hat die Entwicklung reifer eigenständiger Persönlichkeiten zum Ziel: „Die Erfahrung eines jungen Menschen mit der Kirche sollte immer zu einer persönlichen und belebenden Begegnung mit Jesus Christus innerhalb einer liebenden und nährenden Gemeinschaft führen. In diesem Umfeld sollten junge Menschen ermutigt werden, zu ihrer vollen menschlichen und geistigen Reife heranzuwachsen (…).“3 Kindern und Jugendlichen soll es ermöglicht werden, ihr Personsein so zu entwickeln, dass sie als Erwachsene die Erfahrung von Liebe und ganzheitlicher Annahme durch eine Partnerin bzw. einen Partner machen und anderen weitergeben können.
A.1.1 Sexuelle Orientierung und Missbrauch
Die sexuelle Ausrichtung ist nicht ausschlaggebend dafür, ob jemand zu einer Missbrauchstäterin bzw. einem Missbrauchstäter wird.
A.1.2 Zölibat und Missbrauch
In der öffentlichen Diskussion um die bekannt gewordenen Fälle sexueller Gewalt im kirchlichen Bereich wird immer wieder die Frage gestellt, ob eine Änderung der Praxis der römisch-katholischen Kirche, den Zugang zur Priesterweihe mit der Verpflichtung zum Zölibat zu verbinden, Missbrauchsfälle reduzieren würde. Oft wird sogar die Meinung vertreten, dass eine Aufhebung der Verpflichtung zur Ehelosigkeit das Problem des sexuellen Missbrauchs lösen könnte.
Expertinnen und Experten betonen, dass es zwischen zölibatärer Lebensform und sexuellem Missbrauch keinen Zusammenhang gibt. Eine große Zahl an Missbrauchstaten wird durch verheiratete Menschen bzw. in Familien begangen. Nicht das Fehlen einer Sexualpartnerin bzw. eines Sexualpartners ist Ursache für sexuellen Missbrauch, sondern eine gestörte oder unausgereifte psychosexuelle Entwicklung. Es bedarf bei jedem Menschen einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und deren Integration in die Gesamtpersönlichkeit.
A.1.3 Pädophilie bzw. Hebephilie und Missbrauch
Pädophilie ist ein sexuelles Interesse Erwachsener an Kindern, die noch nicht in der Pubertät sind und im Allgemeinen nicht älter als 11 Jahre alt sind. Von den Betroffenen können Jungen- und/ oder Mädchenkörper als sexuell erregend empfunden werden.
Personen mit einer Hebephilie fühlen sich sexuell von Jugendlichen (12–17 Jahre) angesprochen, deren körperliche Entwicklung bereits Merkmale der Pubertät aufweist.
A.1.4 Schutzbedürftige Erwachsene und Missbrauch
Einer Seelsorgerin bzw. einem Seelsorger vertrauen sich Menschen unterschiedlichen Alters an, suchen Rat, Trost, Hilfe, Wegbegleitung und Unterstützung. Diese Menschen benötigen einen besonders geschützten Rahmen, um sich sicher und verstanden zu fühlen. Diese Begleitsituationen sind geprägt von großer Nähe: Menschen öffnen sich im Vertrauen und reden über ihre Gottesbeziehung und ihre intimen Probleme. Geistliche Begleitung und seelsorgliche Gespräche sind geprägt von der Möglichkeit, einem Menschen sehr nahezukommen. Sie müssen einerseits eine Intensität, Dichte und Nähe zulassen, andererseits aber die nötige innere und äußere Distanz wahren. Daraus kann ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu ihren begleitenden Personen, ihren Seelsorgerinnen und Seelsorgern entstehen. Diese Abhängigkeit darf keinesfalls ausgenützt und missbraucht werden.4
Eine weitere große Gruppe an schutzbedürftigen Personen gibt es dort, wo Menschen (teilweise nicht selbstbestimmt) mit kirchlichen Einrichtungen und den darin handelnden Personen in Kontakt kommen. Das sind z. B. Patientinnen und Patienten, Pflegebedürftige oder Menschen auf der Flucht. Genauso fallen Menschen mit Beeinträchtigungen oder psychisch erkrankte Personen in die Gruppe der schutzbedürftigen Erwachsenen.
A.2. Nähe und Distanz
Arbeit mit Kindern und Jugendlichen5 sowie besonders schutzbedürftigen Personen6 ist Beziehungsarbeit. Zur Gestaltung von Beziehungen gehört ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz. Dieses Zusammenspiel muss man als verantwortliche Person immer wieder aufs Neue anschauen und überprüfen.
Grundlage jeder ernst zu nehmenden und vertrauensvollen Beziehung zwischen einer Autoritätsperson7 und einem Kind oder einer Jugendlichen bzw. einem Jugendlichen ist das gegenseitige Zulassen und Aufbauen von geistiger und emotionaler Nähe. Die Verantwortung der Autoritätsperson für eine gelingende Beziehung erstreckt sich auch auf den Umgang mit Körperlichkeit und körperlicher Nähe. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen gilt es, aufmerksam zu sein und ihnen die Möglichkeit zu geben, Nähe und Distanz selber zu bestimmen, und zwar immer so, dass möglichst alles vermieden wird, was Anlass zu Fehlinterpretationen oder übler Nachrede geben könnte.
Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist eine grobe, machtvolle und gewalttätige Ausnutzung dieser Nähe, auch dann, wenn es die Autoritätsperson selbst gar nicht so einschätzt. Das Wissen um die Möglichkeit des Missbrauchs körperlicher Nähe darf andererseits nicht dazu führen, dass ein gesunder und notwendiger körperlicher Kontakt – unter anderem im Spiel – vermieden oder misstrauisch beobachtet wird. Wichtig und notwendig sind einerseits eine Sensibilisierung der Wahrnehmung und andererseits konkrete Kenntnisse darüber, was im Falle eines Verdachts von Übergriffen jeglicher Art zu tun ist. Erwachsene dürfen, wenn sie unkorrekte oder jedenfalls unbedachte Verhaltensweisen bei einem Priester, Diakon, bei einer Religionslehrerin oder einem Religionslehrer usw. wahrnehmen, nicht wegschauen. Sie sind verpflichtet, bei leichten Grenzverletzungen die Person darauf anzusprechen bzw. bei schwereren Grenzverletzungen sich an die Ombudsstelle zu wenden.
Die Bedeutung von Nähe und Distanz kann von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation völlig unterschiedlich sein. Manchmal ist viel Nähe belastend, in anderen Situationen sehnen wir uns wieder nach mehr Geborgenheit und Nähe. Nähe ist wichtig und der Umgang soll achtsam, respektvoll und transparent erfolgen. Entscheidend ist, dass zwischen Kind und Autoritätsperson der pastorale und pädagogische Kontext beachtet wird. Wenn z. B. ein Kind beim Trösten nicht umarmt werden will, ist das zu unterlassen. Die bzw. der Erwachsene ist dafür verantwortlich, dass Grenzen dieser Art wahrgenommen und eingehalten werden.
Eine Sensibilisierung in diesem Bereich erfolgt einerseits durch Bewusstseinsbildung und eine Beschäftigung mit den eigenen Bedürfnissen, andererseits durch das Hineindenken und Hineinfühlen in die Situation und in die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen oder durch den Austausch mit anderen Gruppenleiterinnen und -leitern über ihre Erfahrungen.
Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema macht in heiklen Situationen sicherer. Dazu kann auch Hilfe von außen in Anspruch genommen werden, die eigene Arbeit kann beobachtet und Feedback von anderen eingeholt werden (z. B. in Form von Gruppen- oder Einzelsupervision, geistlicher Begleitung, …).
Trotz mancher schwierigen Fragen ist klar, dass auf Nähe – und in einem gewissen Rahmen auch auf körperliche Nähe – in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht verzichtet werden kann. Es geht ja darum, bestimmte Bereiche des Lebens miteinander zu teilen. Dazu gehört, sich aufeinander einzulassen und Nähe zuzulassen.
A.3. Missbrauch und Gewalt
A.3.1 Abstufungen nach Schweregrad
A.3.1.1 Grenzverletzendes Verhalten
Jeder Mensch hat um sich herum eine „gefühlte“ Grenze, die von ihm als schützend und notwendig empfunden wird. Diese Grenze ist individuell und variiert auch etwa im Laufe eines Tages oder je nach Umgebung.
Eine Grenzverletzung passiert, wenn Personen mit ihren Worten, Gesten und ihrem Verhalten die persönliche Grenze von anderen überschreiten. Grenzverletzungen können unabsichtlich geschehen. Beispiele für Grenzverletzungen sind etwa: öffentliches Bloßstellen, Kinder und Jugendliche als „Schatzi“ oder „Süße“ bezeichnen, das Zulassen einmalig sexualisierten Verhaltens von Kindern und Jugendlichen im Kontakt.
Entscheidend für die Bewertung, ob eine Grenzverletzung passiert ist, ist das persönliche Erleben der Betroffenen. Wenn sich etwa jemand verletzt, gedemütigt oder abgewertet fühlt, wurde eine Grenze überschritten. Damit es zu keiner „Kultur der Grenzverletzungen“ kommt, die mögliche Täterinnen und Täter ausnützen können, um gezielt Übergriffe zu setzen, müssen Grenzverletzungen als solche wahrgenommen, angesprochen und korrigiert werden.
A.3.1.2 Übergriffiges Verhalten
Übergriffiges Verhalten ist bewusstes, absichtliches Verhalten und geschieht, wenn Personen grenzverletzendes Verhalten nicht ändern und gezielt wiederholen. Übergriffiges Verhalten ist kein Versehen und missachtet die abwehrenden Reaktionen der Betroffenen. Als übergriffig bezeichnet man ein Verhalten auch schon beim ersten Mal, wenn es vom Ausmaß her mehr als eine Grenzverletzung zu beschreiben ist. Übergriffige Personen relativieren und bagatellisieren ihr Verhalten, ebenso wenn Dritte ihr Verhalten ansprechen und kritisieren.
Beispiele für übergriffiges Verhalten sind etwa: Mädchen und Burschen bewusst zu ängstigen, häufige sexistische Bemerkungen oder gezielte Berührungen an der Brust und am Po, wie etwa auch ein scheinbar „freundschaftlicher“ Klaps auf den Po. Übergriffiges Verhalten erfordert Konsequenzen, wie etwa einen befristeten Ausschluss. Bei übergriffigem Verhalten von Jugendlichen ist dieses anzusprechen, eine Grenze zu setzen und professionelle Hilfe bei Fachpersonen (Psychologinnen und Psychologen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten etc.) zu vermitteln.
A.3.1.3 Straftaten
Kinder können die Zulässigkeit sexueller Handlungen mit Erwachsenen und älteren Jugendlichen und deren Folgen nicht einschätzen. Sie können daher solchen Handlungen nicht zustimmen. Jede sexuelle Handlung (mit oder ohne Körperkontakt) von Erwachsenen und Jugendlichen über dem 14. Lebensjahr mit, an oder vor Kindern, die noch nicht 14 Jahre alt sind, wird daher als sexuelle Gewalttat gesehen und ist strafbar.
„Grooming“ ist, wenn sich Erwachsene das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen mit dem Ziel der – sexualisierten – Gewaltausübung erschleichen. Das ist in Österreich ein Straftatbestand.
A.3.2 Differenzierung nach der Art
A.3.2.1 Vernachlässigung
Vernachlässigung8 meint unzureichende oder gar nicht geleistete Betreuung und Versorgung. Sie wird wegen ihres schleichenden Verlaufs gewöhnlich zu wenig beachtet.9
A.3.2.2 Physische Gewalt
Unter physischer Gewalt wird jede körperlich schädigende Einwirkung auf andere verstanden: z. B. Schlagen, Ohrfeigen, Unterlassung von Hilfeleistung bei Verletzungen oder Erkrankungen.
Körperliche Misshandlung von Kindern und Jugendlichen wird heute nicht in gleicher Weise tabuisiert wie das Thema sexuelle Gewalt. Erwachsene sind für Betroffene eher ein Sprachrohr. Scham und Schuldgefühle prägen sich zumeist nicht in gleicher Weise ein, da es Öffentlichkeit und deklarierte Loyalität gibt.
A.3.2.3 Psychische Gewalt
Unter psychischer Gewalt wird emotionale Misshandlung anderer verstanden, z. B. Verhaltensweisen, die Betroffenen das Gefühl von Ablehnung, Ungeliebtsein, Herabsetzung, Wertlosigkeit oder Überfordertsein vermitteln, Isolierung, emotionales Erpressen, Aufbürden unangemessener Erwartungen, Instrumentalisierung, Stalking, abwertende Äußerungen über Eltern oder andere Angehörige oder Herkunft.
Ebenfalls darunter fallen Taten auf der Ebene der „Peer to Peer“-Übergriffe, z. B. in Form von Mobbing und Cyber-Mobbing (Drangsalierung mit elektronischen Kommunikationsmitteln).
Spirituelle Gewalt ist eine besondere Form von psychischer Gewalt, die im allgemeinen Sprachgebrauch „Geistiger Missbrauch“ oder „Geistlicher Missbrauch“ bezeichnet wird. Spiritueller Missbrauch wird ausgeübt, wenn mittels religiöser Inhalte oder unter Berufung auf geistliche Autorität Druck und Unfreiheit entstehen und Abhängigkeit erzeugt und ausgenutzt wird. Das Phänomen ist zwar nicht neu, aber dennoch nicht ausreichend wissenschaftlich erfasst und bearbeitet. So gibt es z. B. keine zufriedenstellende Definition oder klare Abgrenzung zu anderen Gewalt- und Missbrauchsformen. Bei Vorliegen neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse werden diese bei zukünftigen Auflagen der Rahmenordnung Berücksichtigung finden.
A.3.2.5 Sexualisierte Gewalt/Sexueller Missbrauch
Es gibt verschiedene Definitionen von sexuellem Missbrauch. Eine gängige Definition für sexuellen Missbrauch lautet: „Sexueller Missbrauch bedeutet eine nicht zufällige, bewusste, psychische und/oder physische Schädigung, die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar bis zum Tode führt und die das Wohl und die Rechte eines anderen, hier des Kindes, des Jugendlichen oder der besonders schutzbedürftigen Person beeinträchtigt.“11
Bei einem sexuellen Missbrauch führt eine Erwachsene bzw. ein Erwachsener absichtlich Situationen herbei. Er plant sie und missbraucht seine Autoritäts- und/oder Vertrauensposition, um sich sexuell zu erregen.12 Sexueller Missbrauch beginnt oft mit Streicheln, „harmlosen Kitzelspielen“, Berühren und Berührenlassen im Geschlechtsbereich usw. Die Intensität der Handlungen kann sich im Lauf der Zeit steigern und je nach Nähe zwischen Täterin bzw. Täter und betroffener Person verändern. Neben dem eindeutig definierten sexuellen Missbrauch, wie er im Strafrecht geregelt ist13, kann es subtilere Formen geben wie z. B. verbale sexuelle Belästigung, sexualisierte Atmosphäre oder Sprache, Beobachtung des Kindes beim Ausziehen, Baden, Waschen bzw. nicht altersgemäße Hilfestellungen, nicht altersgemäße Aufklärung über Sexualität. Sexueller Missbrauch ist die Nötigung zu einem sexuellen Verhalten unter Ausnützung eines Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses, wie im schlimmsten Fall die Vergewaltigung. Dazu gehören aber auch der sexuelle Verkehr ohne Bedrohung oder Gewaltanwendung, wenn er unter Ausnützung eines Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses erfolgt.
Abgesehen von sexuellen Übergriffen von Erwachsenen an Kindern und Jugendlichen gibt es sexuelle Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen (z. B. unter Geschwisterkindern, in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, in Kinder- und Jugendgruppen, in Sportgruppen, in Jugendbeschäftigungsprojekten). Ebenso gibt es Übergriffe unter Erwachsenen.
A.3.2.6 Gewalt in digitalen Medien
Der Begriff „Mediengewalt“ bezieht sich sowohl auf den passiven Konsum von medial dargestellter Gewalt (z. B. Ansehen eines gewalthaltigen Videos) als auch auf die aktive Ausübung von Gewalt mithilfe von Medien (z. B. Veröffentlichen eines bloßstellenden Fotos). Bei beiden Formen ist die sexuelle Gewalt eine Ausprägung unter mehreren.
Neben der strafbaren Handlung, bei der Erwachsene Kinder und Jugendliche mit pornografischen Darstellungen medial konfrontieren, kommt es zu Situationen, bei der Kinder und Jugendliche medial dargestellte Gewalt passiv konsumieren, Opfer von medial ausgeübter Gewalt werden oder Gewalt aktiv mithilfe von Medien ausüben. Manchmal geht dies Hand in Hand: So konsumieren Kinder und Jugendliche Bilder mit pornografischen Inhalten und schockieren damit beispielsweise Jüngere. Gewalt in digitalen Medien in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ist von steigender Bedeutung.
A.3.2.6.1 Passive Mediengewalt: Konsumieren und Zusehen
Schon sehr früh wird Mediengewalt von Kindern konsumiert – beispielsweise in Zeichentrickfilmen. Gewaltdarstellungen begegnen Kindern in vielfältiger Art und Weise: „Witzige Gewalt“ (Zeichentrickserien, Videos, lustige Spiele), nachgespielte, gestellte Gewalt (Stunts, Wrestling, nachgestellte Schlägereien), gewalthaltige Musikvideos und Songtexte, Horrorfilme und Gewalt in Spielfilmen, Pornografie (entweder mit gewalttätigen Inhalten oder dazu verwendet, um durch Herzeigen Gewalt gegen jüngere Kinder auszuüben) sowie echte, extrem brutale Gewalt (Hinrichtungen, Kriegsszenarien, Folter, Vergewaltigungen, Morde – sogenannte Snuff-Videos).
A.3.2.6.2 Aktive Mediengewalt: Produzieren und Ausüben
Auch hier gibt es vielfältige Formen: Beginnend bei Belästigungen im Internet (durch unerwünschte Werbung, anzügliche Nachrichten oder Postings) bis zu Cyber-Mobbing (absichtliches Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen von Personen im Internet oder über das Handy, auch Cyber-Stalking oder Cyber-Bullying genannt), Happy Slapping (Prügeleien, Auseinandersetzungen und Rangeleien zwischen Jugendlichen werden gefilmt und über Internet und Handy rasant verbreitet), Sexting (erotische Fotos oder Nacktaufnahmen werden gegen den Willen der dargestellten Personen in sozialen Netzwerken verbreitet), sexuelle Belästigung und sexuelles Bedrängen, Verführen oder Ködern im Internet.14
A.3.3 Missbrauchszyklus
Effektiver Kinderschutz kann ohne die Erfahrungen aus der Arbeit mit Täterinnen und Tätern nicht geleistet werden, da Betroffene zwar wissen, was ihnen widerfahren ist (Inhaltswissen), Täterinnen bzw. Täter aber das Wissen über den Beginn, die Planung, die Verführung und Durchführung des Missbrauchs haben (Prozesswissen). Durch die Zusammenarbeit von Opferschutzeinrichtungen und die Beschäftigung mit Täterinnen und Tätern entstand das Modell des Missbrauchszyklus, der in die internationale Täterforschung und direkte Arbeit mit Täterinnen und Tätern Eingang gefunden hat.15 Dabei wird von den Prämissen ausgegangen, dass es ein Verhaltensmuster von der Phantasie bis hin zur Tat gibt, dass das Verhalten absichtlich ist und aus verschiedensten Motiven entsteht. Fünf häufige Gründe sind Wut, Macht, Sex, Kontrolle und Angst.
Nach der grundlegenden Arbeit von Hilary Eldridge/Faithful Foundation entspricht der Missbrauchskreislauf einem allgemeinen Abhängigkeitszyklus. Jeder Mensch, der seine Abhängigkeitsmuster (z. B. bezüglich Trinken, Rauchen, Einkaufen, Essen, sexuellem Verhalten) erkennen möchte, kann sie nach diesem Kreislauf erforschen.
Es ist nicht leicht, abhängiges Verhalten zu ändern. Missbrauchstäterinnen und Missbrauchstätern fällt es schwer, ihr Verhalten aufzugeben oder zu verändern. Sie verleugnen es, für sie war der Missbrauch ein „Ausrutscher“.
Folgende Grundannahmen begleiten den „Missbrauchszyklus“:
Hat eine Täterin bzw. ein Täter mit sexuellen Missbrauchshandlungen an Kindern begonnen, so ist es für sie bzw. ihn sehr schwer, damit wieder aufzuhören.
Sie bzw. er hat ein sogenanntes „verzerrtes Denken“, das die Tat rechtfertigt: „Meine Kinder gehören mir, ich kann mit ihnen machen, was ich will!“ – „Kinder haben auch eine Sexualität, es ist gesund und förderlich, was ich mit ihnen mache!“ – „Ich bin so lieb, sie/ er hat das gerne!“ Sie bzw. er betrachtet das Opfer als Sexualobjekt.
Ihr bzw. sein Missbrauchsverhalten hat sie bzw. er in Phantasien durchgespielt und eingeübt.
Sie bzw. er definiert das Verhalten des Op- fers um: „Sie/Er hat sich nicht gewehrt!“ – „Sie/Er kam immer wieder zu mir!“ – und deutet es als Zustimmung.
Die Tat ist nicht einmalig und nicht einfach nur passiert.
Sie bzw. er sieht sich als passiv, das Opfer als aktiv Reagierenden.
Selbst wenn sie bzw. er behauptet, ihr bzw. sein Verhalten sei falsch, glaubt sie bzw. er nicht wirklich, dass es falsch ist.
Ihr bzw. sein Motiv, um professionelle Hilfe zu bitten, ist nicht selten „suspekt“. Sie bzw. er möchte als einsichtig gelten, weil sie bzw. er befürchtet, bald entdeckt zu werden. Die Abklärung ihrer bzw. seiner Motivation ist vorrangig zu beachten.
A.3.4 Vier Faktoren bei sexuellen Gewaltübergriffen
David Finkelhor beschreibt vier Faktoren, die einzeln, in unterschiedlichen Kombinationen oder auch alle gemeinsam bei sexuellen Gewaltübergriffen als Motivation zum Tragen kommen:16
Emotionale Kongruenz: Gefühl der emotionalen Übereinstimmung mit kindlichem und jugendlichem Erleben.
Sexuelle Erregbarkeit: Beschreibt die physiologische Reaktion auf die Präsenz von Kindern oder die Phantasien über Kinder, die zu sexuellen Aktivitäten führen.
Blockierung: Bezieht sich auf die Unfähigkeit mancher, sexuelle Kontakte mit erwachsenen Frauen oder Männern befriedigend leben zu können.
Enthemmung: Meint das schrittweise Wegfallen aller inneren und äußeren Hindernisse, der Missbrauch dient der Befriedigung von Macht und Dominanzbedürfnissen.
Damit es zu sexueller Gewalt kommt, müssen zudem vier Vorbedingungen erfüllt sein:
Die potenzielle Täterin bzw. der potenzielle Täter hat eine Motivation. Diese kann in emotionaler Kongruenz, sexueller Erregbarkeit, Blockaden bestehen.
Die potenzielle Täterin bzw. der potenzielle Täter überwindet innere Hemmungen gegen das Ausagieren. Ein Motiv zu haben, reicht noch nicht aus. Es werden auch Hemmungen, wie das Inzesttabu oder die Überzeugung, Kindern keine Gewalt anzutun, überwunden.
Äußere Hindernisse, wie sie die Beaufsichtigung eines Kindes, stabile Sozialkontakte des Kindes in und außerhalb der Familie, Angst vor strafrechtlicher Verfolgung oder die soziale Ächtung sexueller Gewalt darstellen, werden in einem nächsten Schritt überwunden.
Die letzte Hürde stellt ein möglicher Widerstand des Kindes dar. Diesen zu überwinden, stellt für Täterinnen bzw. Täter keine große Hürde dar.
Was dabei zum Ausdruck kommt, ist, dass sich das Handeln der Täterin bzw. des Täters nicht allein auf sie bzw. ihn und die betroffene Person beschränkt, sondern dass es ein mitbetroffenes Umfeld gibt. Dies gilt es, sowohl bei präventiven Überlegungen zu beachten – wo könnten Kontrollmechanismen sein bzw. verstärkt werden – als auch im Rahmen von konkreten Interventionen. Es gibt eine mitbetroffene Familie, Gemeinde, Ordensgemeinschaft, Schulklasse, Schule, Kinder-, Jugendgruppe usw. Damit hier keine Täterin- bzw. Täter-Opfer-Umkehr stattfindet, ist nicht allein mit den Betroffenen und Täterinnen bzw. Tätern zu arbeiten, sondern auch dem betroffenen sozialen Umfeld Hilfe anzubieten.
A.3.5 Wie kann man Betroffene erkennen?
Es gibt keine eindeutigen Merkmale für die Erkennung von erlebter sexueller Gewalt. Jede Verhaltensauffälligkeit (z. B. plötzliches Sich-Zurückziehen, plötzliche Distanzlosigkeit), jede Veränderung im Verhalten, jede psychosomatische Erkrankung kann auf einen zugrundeliegenden Missbrauch hindeuten.
Grundsätzlich gibt es kein Kindesmissbrauchs-Syndrom, d. h., man kann nicht mehrere abweichende Verhaltensweisen zusammenfassen, um zu erkennen, dass es sich um einen sexuellen Kindesmissbrauch handelt. Vielmehr ist es notwendig, zu beobachten, zu erkennen und zu ergründen, warum sich ein Kind verändert hat.
Ein vormals schüchternes Kind kann plötzlich aggressiv werden. Ein lautes, munteres Kind wird schüchtern und leise. Ein „wohlerzogenes“ Kind verwendet eine obszöne Sprache. Wiederum ein anderes Kind drückt es in psychosomatischer Form aus. Es war bereits rein und beginnt wieder einzunässen. Es reagiert mit Kopfschmerzen und weist damit darauf hin, dass ihm etwas Kopfzerbrechen bereitet. Es hat Magenschmerzen und zeigt dadurch an, dass ihm etwas im Magen liegt. Es erbricht täglich in der Früh und findet die Welt zum Speien. All dies sind Beispiele für körperliche Symptome, die auf sexuellen Missbrauch hindeuten und ein Hilferuf des Kindes sein können.
Für Personen aus dem Umfeld ist es manches Mal nur eine vage Vermutung, ein unbestimmtes Gefühl, denn selten spricht ein Kind den Missbrauch direkt an. Man spricht mit Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden oder Personen, die das Kind kennen, über eine Vermutung bzw. über Wahrnehmungen. Oft kommen Ängste und Zweifel, dass so etwas „Unfassbares“ geschehen ist. Man möchte niemanden falsch verdächtigen, insbesondere, wenn die potenzielle Täterin bzw. der potenzielle Täter bekannt ist („so ein gut sorgender Vater, der holt seine Tochter immer ab“), man hat Angst, als „hysterisch“ abgestempelt zu werden.
Man darf einen möglichen Missbrauch nie ausschließen, wenn sich ein Kind unerklärbar auffällig verhält. Den Anzeichen muss unbedingt nachgegangen werden.
Wie bei jeder Typologisierung oder Schematisierung gilt auch bei dieser Vorsicht vor zu schnellen Einordnungen und Generalisierungen. Eindeutige Zuordnungen sind nicht immer möglich. Dennoch sind diese hilfreich. In Bezug auf Missbrauch in der Kirche werden in der MHG-Studie folgende Typen unterschieden.
1. Fixierter Typus: Sexueller Missbrauch geschieht an einem oder mehreren Kindern über einen Zeitraum von mehreren Monaten, nicht lange nach der Priesterweihe. Es gibt Hinweise auf eine pädophile Präferenzstörung, also eventuell auch schon vor der Priesterweihe.
2. Narzisstisch-soziopathischer Typus: Er übt seine Macht nicht nur beim sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aus, sondern in inadäquater Weise auch in anderen Kontexten. Sexueller Missbrauch ist nur eine von mehreren Formen von narzisstischem Machtmissbrauch. Es gibt Hinweise auf ein breites Spektrum problematischer Verhaltens- und Persönlichkeitsausprägungen.
3. Regressiv-unreifer Typus: Er ist charakterisiert durch eine defizitäre persönliche und sexuelle Entwicklung, die erst im Erwachsenenalter besonders deutlich wird. Das Zölibat bzw. das Gelübde der Ehelosigkeit wird als Chance gelesen, sich nicht mit der eigenen sexuellen Identitätsbildung auseinandersetzen bzw. keine unreife Partnerschaft eingehen zu müssen. Missbrauchsfälle kommen meist erst längere Zeit nach der Priesterweihe vor.
4. Frustrierter Typus: Im Durchschnitt erfolgt die erste Tat eines sexuellen Missbrauchs im Alter von 42 Jahren, das ist bei den meisten Priestern ca. 14 Jahre nach ihrer Priesterweihe. Auslöser könnten zunehmende Belastungen sein: Psychosoziale Vorbelastungen, Überforderungen und Probleme in der Amtsführung, Finanzprobleme, Tod von Angehörigen, Substanzmittelgebrauch (Alkohol, Medikamente, Drogen), Vereinsamung.
Bei der Aufdeckung bzw. Konfrontation sind bei Beschuldigten häufig die folgenden Reaktionsmuster zu beobachten:
Verleugnung der Sache an sich: „Es ist nichts passiert.“
Verleugnung der Verantwortung: „Es ist etwas passiert, aber es ging nicht von mir aus.“
Verleugnung des sexuellen Charakters: „Es ist etwas passiert und es ging von mir aus, aber es war nichts Sexuelles.“
Verleugnung der Schuld: „Es ist etwas passiert, es ging von mir aus, es war etwas Sexuelles und ist nicht in Ordnung, aber es geschah aufgrund besonderer (mildernder) Umstände.“ (Alkohol, sexuelle oder sonstige Frustrationserlebnisse, finanzielle Probleme, Angst vor Frauen, …)
A.3.7 Strukturelle Bedingungen sexueller Gewalt
Sexuelle Gewalt geht zunächst von Einzeltäterinnen bzw. Einzeltätern aus, hat aber auch strukturelle Bedingungen, die es diesen erleichtern, ihre Vorhaben umzusetzen. Daher ist es notwendig, auch die strukturellen Bedingungen sexueller Gewalt in den Blick zu nehmen. Oft erleichtern Strukturen den Täterinnen und Tätern, ihre Autoritäts- oder Vertrauensposition missbräuchlich gegen Kinder und Jugendliche auszunützen. Die besondere Stellung und moralische Reputation führten bisweilen dazu, dass Täterinnen und Täter mehr geschützt wurden als die Betroffenen. Ein Blick auf diese unterstützenden Strukturen ist daher notwendig, um geeignete Schritte in präventiver Hinsicht und in der Intervention setzen zu können.
Im Folgenden sind Faktoren, die sexuelle Gewaltübergriffe begünstigen und die Täterinnen und Tätern entgegenkommen können, dargestellt.
A.3.7.1 Ein autoritärer oder autoritätsverschleiernder Umgang mit der eigenen Position
Eltern, Lehrerinnen bzw. Lehrer, Erzieherinnen bzw. Erzieher, Gruppenleiterinnen bzw. Gruppenleiter, Priester etc. sind für Kinder und Jugendliche Bezugspersonen bzw. Autoritätspersonen, denen sie Vertrauen entgegenbringen. Die Beziehung zwischen Kindern bzw. Jugendlichen und Erwachsenen kennzeichnen Macht- und Ressour- cenunterschiede, die im Falle sexueller Gewalt zur Befriedigung der Bedürfnisse von Erwachsenen ausgenützt werden. Machtunterschiede müssen wahrgenommen werden. Mit Verantwortlichkeiten muss transparent umgegangen werden.18
Bestimmte Vorstellungen zur Erziehung und zu den Beziehungen zwischen den Geschlechtern und Generationen arbeiten Täterinnen und Tätern in besonderem Maße zu. Autoritäre Erziehungsvorstellungen in Familie und Schule zielen in erster Linie darauf ab, dass Kinder Erwachsene nicht in Frage stellen dürfen, sondern ihnen bedingungslos zu gehorchen haben. Täterinnen und Täter haben dann in ihrem manipulierenden Vorgehen ein leichtes Spiel und sie können Druck zur Geheimhaltung ausüben.
A.3.7.2 Repressive Sexualerziehung
Wenn Kinder lernen, alle ihre Körperteile entsprechend zu benennen und anzunehmen sowie ihren Gefühlen (auch unangenehmen Gefühlen) zu trauen, können sie eventuell Übergriffe schneller erkennen. Dann können sie leichter verbalisieren, was ihnen passiert ist, sich wehren oder Hilfe holen. Werden sexuelle Handlungen verpönt, so kann sich dies im ungünstigsten Fall darin äußern, dass jegliches Reden über Sexualität tabuisiert wird bzw. sexuelle Handlungen von Heranwachsenden streng geahndet werden. Dass Betroffene sich als sündhaft und (mit-)schuldig erleben, erleichtert die Aufrechterhaltung und Geheimhaltung der Übergriffe und wird von Täterinnen bzw. Tätern oftmals bewusst ausgenützt.
Äußerungen, dass Kinder bzw. Jugendliche gleichberechtigte Sexualpartnerinnen bzw. Sexualpartner von Erwachsenen seien, fördern einen ausbeutenden Umgang mit der Sexualität von Kindern und Jugendlichen.
A.3.7.3 Missbrauch religiöser Motive und Praktiken
Täterinnen und Täter aus dem kirchlichen Kontext benützen bisweilen religiöse Metaphern, durch die Abhängigkeiten gefestigt werden sollen. Bilder des „allmächtigen Vatergottes“, der „demütigen Gottesmutter“ und des „gehorsamen Gottessohnes“ können verwendet werden, um gläubige Kinder und Jugendliche in Abhängigkeit zu führen.
Wenn nach einem erfolgten Missbrauch Zwang ausgeübt wird, dass die betroffene Person die erlittenen Taten als „Vergehen“ dem Täter beichten muss,19 stellt das einen neuerlichen Missbrauch dar. Ebenso wenn einer betroffenen Person durch einen anderen Beichtpriester verboten wird, über das Vorgefallene zu sprechen.
A.3.7.4 Ausblenden von sozialem Kontext
Der soziale Kontext bei Missbrauch und Gewaltvorkommen ist zu beachten. Das soziale Umfeld braucht Orientierung und Unterstützung in der Einschätzung von und im Umgang mit Missbrauchstaten, damit es nicht zu einer Täterinnen- bzw. Täter-Opfer-Umkehr kommt und Betroffene erneut Gewalt erleiden. Institutionen und Gemeinschaften, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, sollen ein Wissen über sexualisierte Gewalt und Kenntnisse über geeignete Interventionsmaßnahmen haben, wozu diese Rahmenordnung eine Hilfestellung ist. Daher soll in allen Einrichtungen auch eine fördernde Umgebung und Gesprächskultur geschaffen werden, in der die Tabuisierung aufgelöst und die Belastungs- und Gewaltsituationen thematisiert werden können.
Daher wird ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Erstellung von Schutzkonzepten (siehe Teil B.3.3) hingewiesen.
Teil B - Prävention
Papst Franziskus
Aus der Einführungsansprache zum Treffen „Schutz von Minderjährigen in der Kirche“ von Papst Franziskus in der neuen Synodenaula, gehalten am Donnerstag, 21. Februar 2019.20
Angesichts des Übels des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Männer der Kirche war es mein Wunsch, euch Patriarchen, Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Ordensobere und Verantwortungsträger hinzuzuziehen, auf dass wir alle gemeinsam auf den Heiligen Geist hören und uns folgsam von ihm leiten lassen, um dem Schrei der Kleinen Gehör zu schenken, die Gerechtigkeit verlangen. Auf unserem Treffen lastet das Gewicht der pastoralen und kirchlichen Verantwortung, die uns verpflichtet, gemeinsam auf synodale, aufrichtige und gründliche Weise darüber zu diskutieren, wie wir diesem Übel entgegentreten können, das die Kirche und die Menschheit heimsucht. Das heilige Volk Gottes schaut auf uns und erwartet von uns nicht einfache, selbstverständliche Verurteilungen, sondern konkrete und wirksame Maßnahmen, die zu erstellen sind. Es braucht Konkretheit.
Beginnen wir also unser Programm, ausgerüstet mit dem Glauben und dem Geist größten Freimuts („parrhesia“), der Furchtlosigkeit und Konkretheit.
Als Hilfsmittel erlaube ich mir, euch einige wichtige Kriterien mitzugeben, die von den verschiedenen Kommissionen und Bischofskonferenzen erarbeitet wurden – sie stammen von euch, ich habe sie ein wenig zusammengestellt. Es sind Leitlinien, die unsere Überlegungen unterstützen sollen. Sie sind einfach ein Ausgangspunkt. Sie kommen von euch und kehren zu euch zurück. Sie nehmen nichts weg von der Kreativität, die bei diesem Treffen herrschen soll.
Die Wahrheit wird euch frei machen
Angesichts des Ausmaßes von Missbrauch und Gewalt in der katholischen Kirche, das sich etwa seit den 1990er-Jahren weltweit immer mehr zeigte, war die Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich, die die österreichischen Bischöfe 2010 unter Vorsitz von Christoph Kardinal Schönborn und im Einvernehmen mit den Ordensleuten Österreichs erstmals herausgegeben haben, ein geeignetes und gelungenes Instrument zur gemeinsamen Aufarbeitung dieser tiefen Wunde im Leben der Kirche.
Auf dieser ersten Grundlage konnte vielen Betroffenen von Missbrauch und Gewalt konkret geholfen werden. Da man bisher aber keine Erfahrungen im gemeinsamen Vorgehen gegen Missbrauch und Gewalt hatte, zeigte sich schon bald, dass diese Rahmenordnung einer Ergänzung und Präzisierung bedurfte. Im Jahr 2016 konnte der damals zuständige Bischof Klaus Küng im Auftrag der Bischofskonferenz und im Einvernehmen mit den Ordensleuten Österreichs eine zweite, überarbeitete und ergänzte Auflage dieser Rahmenordnung vorlegen. Schon damals wurde aber festgehalten:
„Es ist uns bewusst, dass die Bemühungen um Schutz vor Gewalt und Missbrauch niemals als abgeschlossen betrachtet werden können.“
Heute können Bischofs- und Ordenskonferenz Österreichs erstmals gemeinsam nach einem kollektiven Überarbeitungsprozess eine dritte, überarbeitete und ergänzte Rahmenordnung der Öffentlichkeit vorlegen. In der Praxis der letzten Jahre hatte sich gezeigt, dass einige spezielle Problemstellungen bisher nicht berücksichtigt waren. Dieses Defizit konnte besonders in der neu überarbeiteten „Verfahrensordnung bei Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs und Gewalt“ behoben werden. So wurden etwa die unterschiedlichen Begrifflichkeiten vereinheitlicht und noch genauer definiert, die Gestalt und Durchführung von Präventionsmaßnahmen präzisiert sowie die konkreten Erfahrungen in den Verfahrensabläufen der letzten zehn Jahre hilfreich eingearbeitet. Auch haben wir uns um bessere Verständlichkeit und leichtere Lesbarkeit der Rahmenordnung bemüht. Mit dieser Neuauflage können wir eine verlässliche Handreichung für alle, die im kirchlichen Kontext mit Personal- und Präventionsfragen befasst sind, anbieten.
Als besonderen Gewinn erachten wir, dass wir in Fragen des Opferschutzes in Österreichs Bischofs- und Ordenskonferenz an einem Strang ziehen und gemeinsam diese verbindliche Rahmenordnung vorlegen können. Möge sie den Betroffenen mehr Gerechtigkeit zukommen lassen und ein wirksames Instrument gegen jeglichen Missbrauch im kirchlichen Kontext sein! Damit auch weiterhin gelten darf: Die Wahrheit wird euch frei machen!
Dr. Benno Elbs
Vorsitzender des Beirates Opferschutz Österreichische Bischofskonferenz
Dr. Korbinian Birnbacher OSB
Vorsitzender der Österreichischen Ordenskonferenz
Dr. Hansjörg Hofer
Vorsitzender des Kuratoriums Stiftung Opferschutz
Sr. Franziska Bruckner
Stv. Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz
B.1 Kultur des achtsamen Miteinanders
Die Achtung der Menschenwürde ist vorrangiges Prinzip unseres Handelns. Der Schutz der Kinder, Jugendlichen und anderen schutzbedürftigen Personen steht im Vordergrund. Gelingt deren Schutz in allen kirchlichen Institutionen, ist damit auch der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Schutz der Einrichtung vor Pauschalverdächtigungen und Vertrauensverlust gegeben.
Grundauftrag der Kirche ist es, „heilsamer Raum“ für alle Menschen zu sein. Es ist die Verantwortung jedes Gliedes der Kirche, dass dies verwirklicht und für alle erfahrbar wird.
Kinder tragen keine Verantwortung für das übergriffige Verhalten der Erwachsenen. Das strategische Vorgehen und der latente Druck, der in der Regel von Beschuldigten ausgeübt wird, übersteigen die Abwehrfähigkeit der Kinder.
Jede sexuell übergriffige, grenzverletzende Verhaltensweise gegenüber Kindern unter 14 Jahren ist strafrechtlich relevant und verboten. Nach dem Kirchenrecht ist jede sexuell übergriffige, grenzverletzende Verhaltensweise gegenüber Kindern unter 18 Jahren verboten.
Rein kindbezogene Präventionsansätze haben zwar gewisse Effekte, stoßen aber schnell an ihre Grenzen.
Es braucht grundsätzlich eine Kultur der konstruktiven Einmischung und Auseinandersetzung, eine „Kultur des Hinschauens“. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie schutzbedürftigen Personen kann nur gelingen, wenn ihn alle als gemeinsames Anliegen und gemeinsame Verantwortung sehen. Die entsprechende Sensibilisierung und die daraus folgende notwendige Professionalisierung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Schaffung von klaren Regeln und Strukturen (Schutzkonzepte) sind notwendig.21
B.2 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
B.2.1 Auswahl und Aufnahme von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Besondere Aufmerksamkeit wird von den Verantwortlichen in den Diözesen und Orden, den Regenten und den leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Auswahl und Aufnahme von Klerikern, Ordensleuten sowie haupt- und ehren- amtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf die Reife der Persönlichkeit und den Umgang mit Sexualität und Macht und damit verbundenen Problemen gelegt.
Im Aufnahmeverfahren wird auch die Einschätzung von Bezugspersonen (z. B. priesterliches Empfehlungsschreiben oder gegebenenfalls Stellungnahme einer früheren Ordensoberin bzw. eines früheren Ordensoberen oder früheren Generalvikars) aus dem Umfeld der Kandidatinnen und Kandidaten eingeholt.22, 23
Werden belastende Faktoren deutlich, so wird eine Fachperson bei einem Aufnahme- bzw. Anstellungsverfahren beigezogen. Bei Seminaristen, Novizinnen und Novizen und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pastoral ist eine psychologische Beurteilung grundsätzlich empfohlen.
Zusätzlich sind für Weihekandidaten auch die österreichischen Richtlinien für die Aufnahme und Ausbildung („ratio nationalis“) maßgeblich.
Ein erweiterter Strafregisterauszug (Kinder- und Jugendfürsorge) muss bei jeder Anstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei der Aufnahme in die Ausbildung zum ständigen Diakonat sowie bei der Aufnahme ins Priesterseminar eingeholt werden.
Die Rückfallquote von extrafamiliären Missbrauchstäterinnen und Missbrauchstätern (d. h. Opfer und Täter stammen nicht unmittelbar aus demselben nahen familiären Umfeld) liegt bei 50 %. Unter Anwendung von Therapie ist eine Senkung der Rückfallquote auf unter 20 % möglich. Unter laufender Therapie (u. U. heißt das dauerhaft begleitend stattfindende Therapie) ist eine Reduktion auf unter 10 % möglich. Die Prognose kann dabei deutlich verbessert werden, wenn in der Therapie situative Parameter beachtet werden.
Keinesfalls werden Missbrauchstäterinnen und Missbrauchstäter in der Pastoral eingesetzt, wo der Kontakt zu Kindern und Jugendlichen besteht. Über mögliche Einsätze in anderen Bereichen wird eine Entscheidung im Einzelfall getroffen. Dabei werden die Art des Vergehens, die Schuldeinsicht und Wiedergutmachung der Täterin oder des Täters, die Wiederholungsgefahr und die größtmögliche Sicherheit für die Menschen im Wirkungsbereich berücksichtigt. Ein forensisch-psychiatrisches Gutachten ist dabei eine wesentliche Voraussetzung, um das zu erwartende Risiko zu bestimmen. Der Wiedereinsatz im kirchlichen Dienst ist zudem davon abhängig, ob dadurch ein berechtigtes Ärgernis oder eine Gefährdung des Vertrauens in die Kirche hervorgerufen werden kann.
B.2.2 Aus-, Fort- und Weiterbildung
In der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Klerikern, Ordensleuten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll auf die Qualifizierung geachtet werden, mit entsprechenden Andeutungen bzw. Äußerungen von Kindern, Jugendlichen und schutzbedürftigen Personen in geeigneter Form umzugehen und als Vertrauensperson zur Verfügung zu stehen.
Je nach konkreter Tätigkeit und Funktion sind spezifische Maßnahmen und Themen zu setzen.
B.2.2.1 Selbstwahrnehmung und Biografiearbeit
In der Ausbildung wird die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung gefördert. Kompetente psychologische Begleitung soll helfen, die eigene Biografie verantwortungsvoll zu sehen, zu reflektieren und gegebenenfalls therapeutische Schritte zu setzen.
B.2.2.2 Auseinandersetzung mit der Sexualität
Eine fundierte, extern begleitete Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität und der Entwicklung der menschlichen bzw. emotionalen Reife und Beziehungsfähigkeit sowie der Tugend der Enthaltsamkeit gehören notwendigerweise zur Ausbildung.24
B.2.2.3 Auseinandersetzung mit Rolle, Funktion und Macht
In der Ausbildung werden Themen wie Rollenverantwortung, die Beachtung der notwendigen Verhaltensregeln, Nähe und Distanz, der Umgang mit Autorität, Macht und Abhängigkeit sowie Formen von grenzverletzendem und übergriffigem Verhalten (emotionaler Missbrauch von Macht) bewusst gemacht.
B.2.2.4 Verantwortung für die persönliche Integrität
In der Ausbildung wird thematisiert, dass die Verantwortung für die Wahrung der eigenen Professionalität und der persönlichen und sexuellen Integrität in jedem Fall bei der auszubildenden Person selbst liegt.
B.2.2.5 Leben in Gemeinschaft
Die Gemeinschaft im Priesterseminar bzw. Noviziat ist essenziell. Sie lässt erkennen, wie weit sich ein Seminarist, eine Novizin oder ein Novize auf Peer-Beziehungen einlassen kann bzw. welche Probleme im Zusammenleben in der Gruppe auftreten. Diese Probleme sind ernst zu nehmen, anzusprechen und gegebenenfalls therapeutisch, gruppendynamisch oder supervisorisch zu bearbeiten.
Für Kleriker und Ordensleute ist die Pflege des geistlichen Lebens, der Gemeinschaft und der Sozialkompetenz in den Blick zu nehmen.
B.2.2.6 Regelmäßiger Besuch von Fort- und Weiterbildungen
Um die Professionalität in der jeweils eigenen Tätigkeit zu gewährleisten, finden regelmäßig Weiterbildungen statt. Dafür werden Expertinnen und Experten beigezogen.
B.2.2.7 Selbstreflexion und offenes Gespräch
Selbstreflexion über die persönliche Lebenssituation, auch im sensiblen Bereich der Sexualität, kann in Form von Tagesrückblick, der geistlichen Begleitung, der Beichte, der Supervision usw. geschehen.
B.2.2.8 Beichte/Geistliche Begleitung
Eine entsprechende verpflichtende Ausbildung vor Erteilung der Beichtvollmacht ist notwendig. Die Erteilung der Beichtvollmacht ausschließlich aufgrund der Priesterweihe darf nicht automatisch erfolgen. Analog dazu ist mit Geistlicher Begleitung vorzugehen.
B.2.3 Verpflichtungserklärung
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter25 in der Kirche sind über die in der Rahmenordnung angeführten Aspekte im Sinne der Prävention nachweisbar zu informieren und haben die Inhalte der Rahmenordnung in dem ihrer Funktion angemessenen Ausmaß anzuwenden und eine diesbezügliche Verpflichtungserklärung zu unterschreiben (siehe Teil D 4).
B.2.4 Umgang mit Verdachtsfällen
Eine entscheidende Präventionsmaßnahme ist die Sicherheit, dass jedem Verdachtsfall ausnahmslos und ernsthaft nachgegangen wird, unabhängig davon, ob es sich um einen schweren oder weniger schweren Missbrauch handelt.
Es braucht dafür ein für alle Beteiligten transparentes und faires Verfahren. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen und schutzbedürftigen Personen steht dabei im Vordergrund.
Alle kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verpflichtet, Verdachtsfälle von Missbrauch oder Gewaltanwendung ausnahmslos bei der Diözesanen Ombudsstelle zu melden, entweder direkt oder über die Stabsstelle Prävention oder die Vorgesetzte bzw. den Vorgesetzten, die wiederum verpflichtet sind, unverzüglich die zuständige Ombudsstelle zu informieren.26
B.3 Stabsstelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt
Jeder Diözesanbischof errichtet nach Anhörung der zuständigen Gremien eine Stabsstelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt mit einer präventionsbeauftragten Fachperson. Unter Leitung der oder des Präventionsbeauftragten kann auch eine entsprechende Arbeitsgruppe zum Kinder- und Jugendschutz eingerichtet werden.
B.3.1 Hauptaufgaben
Sensibilisierung für die Themen Macht, Gewalt und sexueller Missbrauch
Professionalisierung von mit jungen Menschen arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Information und Beratung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Ansprechpartnerin für zu erstellende Schutzkonzepte
Instanz für die Autorisierung der Schutzkonzepte
Auftrag der Stabsstelle ist es, einen ständigen Prozess der Sensibilisierung und Professionalisierung bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Gang zu halten und entsprechende fördernde Maßnahmen vorzuschlagen. Die Stabsstelle steht im Austausch mit dem Ordinarius, der Ombudsstelle und der Diözesanen Kommission in der jeweiligen Diözese, um jährlich die Zusammenarbeit zu evaluieren und gegebenenfalls zu verbessern. Ebenso ist eine österreichweite Abstimmung und Vernetzung zwischen den Stabsstellen notwendig. Die Zusammenarbeit mit vergleichbaren zivilgesellschaftlichen Stellen ist zu fördern.
Präventionsbeauftragte der Diözesen dürfen von beteiligten Personen (Betroffene, Beschuldigte, Institutionen) oder deren Angehörigen, deren Fall von einer Ombudsstelle, Diözesanen Kommission oder der Stiftung Opferschutz bearbeitet wird, weder entgeltliche Aufträge annehmen noch sich sonst wirtschaftliche Vorteile zuwenden oder zusagen lassen. Sie erhalten die Vergütung für ihre Tätigkeit ausschließlich von der Diözese im Zuge ihrer hauptamtlichen Tätigkeit.
Die Entscheidung über die konkrete Arbeitsweise trifft der Ordinarius nach Beratung mit den zuständigen Gremien.
Die Zuständigkeit der jeweiligen Stabsstelle Prävention folgt dem Lokalitätsprinzip.
B.3.2 Partizipation und Beschwerdemanagement für Kinder, Jugendliche und schutzbedürftige Personen27
Für die Prävention ist bedeutsam, für Kinder, Jugendliche und schutzbedürftige Personen Möglichkeiten zu schaffen, sich mitzuteilen.
Partizipation
Kindern, Jugendlichen und schutzbedürftigen Personen stehen verschiedene nieder- und höherschwellige Angebote zur Verfügung, die ihnen Äußerungen möglich machen. Dabei wird vorab bestimmt und transparent gemacht, in welchen Bereichen mitbestimmt, mitgestaltet oder selbst bestimmt werden kann, da es beispielsweise Bereiche geben wird, in denen gemeinsame Entscheidungen getroffen werden können, in anderen Bereichen aber nur eine gemeinsame Beratung möglich ist.
Beschwerdemanagement
Für einen strukturierten und auch für die Einrichtung nutzbringenden Umgang mit Beschwerden gibt es ein Beschwerdemanagement. Die Beschwerdemöglichkeiten sind auf unterschiedliche Weise auf verschiedenen Ebenen zugänglich. Dies beginnt bei einer Kultur der Offenheit für Beschwerden (in alltäglicher Beziehungsgestaltung, Ermutigung zur Partizipation) und der Anwendung von Methoden wie Beschwerdebriefkasten, -wand bis zur Errichtung von internen Beschwerdestellen. Interne Beschwerdestellen werden in den diözesanen Organisationen und Dienststellen (z. B. Katholische Jungschar, Junge Kirche, Caritas) implementiert. Auf Pfarrebene erfüllen die Präventionsbeauftragten diese Funktion. Unabhängig davon sind auf jeden Fall die Diözesanen Ombudsstellen bzw. die Stabsstellen interne Anlaufstellen, gegebenenfalls kann auch die Errichtung einer eigenen Beschwerdestelle sinnvoll sein.
Ebenso wird auf externe Beschwerdestellen28 aufmerksam gemacht und ein Austausch von Seiten der Ombudsstellen bzw. Stabsstellen mit diesen Einrichtungen gepflegt, um eingelangte Beschwerden adäquat zu bearbeiten.
Die Beschwerdemöglichkeiten werden auf unterschiedliche Art und Weise beworben, damit sie bekannt sind. Dabei werden die Bedürfnisse der Zielgruppen berücksichtigt (z. B. kindgerecht, Leichter-Lesen-Form, mehrsprachig). Namen, Telefonnummern, (Mail-)Adressen der internen und externen Beschwerdemöglichkeiten werden an mehreren Stellen sichtbar bzw. öffentlich gemacht.29
Beschwerden werden aufgenommen, dokumentiert und individuell bearbeitet, wobei die entsprechenden Datenschutzrichtlinien einzuhalten sind. Abschließend erfolgt eine Reflexion. Die Abläufe der Bearbeitung von Beschwerden werden transparent gemacht, ebenso erfolgt dazu eine Dokumentation. Anonymisierte Jahresberichte tragen z. B. zur Transparenz einer Beschwerdestelle bei. Bei Unzufriedenheit mit einer Beschwerdebearbeitung kann man sich an die nächsthöhere Instanz bzw. an externe Beschwerdestellen wenden.
Die Diözesanen Stabsstellen beraten Pfarren und Einrichtungen bei der Entwicklung ihrer Beschwerdestellen. Die Diözesanen Stabsstellen stehen im regelmäßigen Austausch mit den diözesanen Beschwerdestellen der oben genannten Einrichtungen und Dienststellen. Der Kontakt zu anderen außerkirchlichen Kinder- und Jugendorganisationen sowie der Kontakt mit den externen Beschwerdestellen zum Erfahrungsaustausch darüber wird gepflegt.
B.3.3 Schutzkonzepte
Schutzkonzepte werden verstanden als „ein Zusammenspiel aus Analyse, strukturellen Veränderungen, Vereinbarungen und Absprachen sowie Haltung und Kultur einer Organisation“.30
Dabei geht es um die Auseinandersetzung und Festlegung von Auswahl- und Einstellungskriterien (auch von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) sowie deren Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Thema „Prävention von Gewalt“. Im Schutzkonzept braucht es einen Verhaltenskodex und es müssen Beschwerdewege beschrieben werden.
Alle Verantwortungsträgerinnen und -träger von Pfarren, Orden, Organisationen wie bspw. Katholische Jungschar oder Katholische Jugend, diözesane Dienststellen und Einrichtungen, kirchliche Stiftungen, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen (z. B. katholische Privatschulen, Kindertagesheime, elementarpädagogische Einrichtungen, ...), Bewegungen und Gemeinschaften haben für ihren Bereich Schutzkonzepte zu entwickeln, die erarbeiteten Schutzmaßnahmen schriftlich festzuhalten und zu kommunizieren. Die Diözesanen Stabsstellen für Prävention stehen für diese Aufgaben beratend zur Verfügung.
Für Großveranstaltungen31 ist zusätzlich ein je eigenes Schutzkonzept zu erstellen. (Vgl. B.3.4)
Verantwortlich für die gemeinsame Erarbeitung und Autorisierung ist die kirchenrechtlich zuständige Diözesane Stabsstelle Prävention.32
Ein solches Schutzkonzept gilt nach der Autorisierung durch die zuständige Stabsstelle Prävention für das gesamte Bundesgebiet.33
B.3.4 Prävention von Missbrauch bei lokaler, regionaler oder diözesanübergreifender Kinder- und Jugendarbeit in der katholischen Kirche in Österreich
Eine österreichweit gültige detaillierte Regelung (Ausführungsbestimmungen) wird dazu von der Österreichischen Bischofskonferenz und der Österreichischen Ordenskonferenz erlassen.
B.3.5 Ergänzungen in den Dienstordnungen
Alle kirchlichen Verantwortlichen sind aufgefordert, in den Dienstordnungen für Kleriker, Laiinnen und Laien zum Thema „sexueller Missbrauch und Gewalt“ Hinweise und Bestimmungen für die Prävention und Regelungen für den Anlassfall zu erarbeiten und in Kraft zu setzen.34 Alle kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten diese Rahmenordnung, bestätigen die Kenntnisnahme und verpflichten sich darauf, sie einzuhalten.
B.4 Verhaltensrichtlinien
Ziel der folgenden Regelungen ist es, einen sensiblen Umgang mit Kindern, Jugendlichen und besonders schutzbedürftigen Personen zu fördern. Der folgende Rahmenkatalog für das Verhalten aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter soll weder ein zwanghaftes Korsett sein, das Beziehungsarbeit unmöglich macht, noch Bestimmungen enthalten, die nur auf dem Papier stehen und die niemand kontrolliert. Er möchte ein sinnvolles Verhältnis von Nähe und Distanz definieren.
Neben der grundsätzlichen Sensibilisierung und den positiven Grundhaltungen in der Beziehungsgestaltung mit Kindern und Jugendlichen und besonders schutzbedürftigen Personen, die von Respekt und Zuwendung getragen sind, braucht es in verschiedensten Situationen auch Grundlagen professionellen Verhaltens, wie es von Klerikern, Angestellten und Ehrenamtlichen einzufordern ist, die im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Kindern, Jugendlichen und besonders schutzbedürftigen Personen zu tun haben. Alle haupt- und ehren- amtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich an den im nachstehenden Rahmenkatalog gestellten Prinzipien orientieren. Im Hinblick auf die jeweilige Einrichtung können sie durch die Arbeitgeber konkret ausformuliert werden.35
B.4.1 Förderung der Rechte von Kindern und Jugendlichen
Da die katholische Kirche die Rechte von Kindern und Jugendlichen fördert, sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen zu Folgendem verpflichtet:36
den Kindern und Jugendlichen mit Respekt zu begegnen und sie als Person und damit rechtlich selbstständig anzuerkennen
sie als schutzwürdige Persönlichkeiten mit eigenen Bedürfnissen und Rechten wahrzunehmen
sich zu bemühen, ihre Persönlichkeit im Kontext ihres jeweiligen Umfeldes zu erfassen
mit ihnen kooperativ und respektvoll zu arbeiten und als Basis gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung walten zu lassen
mit ihnen so zu arbeiten, dass dabei ihre Fähigkeiten und Talente gefördert werden und ihre Leistungsfähigkeit entwickelt wird
ihre Gedanken und Überlegungen gelten zu lassen und ihre Aussagen ernst zu nehmen
B.4.2 Wahrung der Rechte von Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche haben das Recht:
angehört zu werden. Ihre Gedanken und Meinungen sind einer sorgfältigen Überprüfung würdig
ermutigt und unterstützt zu werden, bei Entscheidungsfindungen in eigener Sache aktiv teilzunehmen
auf Wohlbefinden sowie auf fördernde und schützende Entwicklung, damit sie ihre eigenen Fähigkeiten erkennen können
als Akteurinnen und Akteure ihrer eigenen Entwicklung betrachtet zu werden; dabei ist ihrer Gesundheit und Sicherheit, ihrem Wohlbefinden sowie ihrem Interesse besondere Bedeutung beizumessen
im Kontext ihrer eigenen Kultur, Religion und ethnischen Herkunft respektiert und verstanden zu werden; ihre Bedürfnisse werden erkannt und diesen wird, sofern möglich, im familiären Zusammenhang entsprochen
B.4.3 Für den Kontakt mit Kindern und Jugendlichen ist verpflichtend:
beim Umgang mit Kindern und Jugendlichen deren Rechte zu respektieren
eine Kultur der Offenheit zu fördern, in der ihre Fragen und Probleme geäußert und diskutiert werden dürfen
ihnen im Rahmen einer „Bewusstseins-Schulung“ unter Berücksichtigung ihres Alters den Unterschied zwischen akzeptablen und inakzeptablen Verhaltensweisen Erwachsener zu erklären (Vermittlung der sieben Präventionsbotschaften: Über deinen Körper bestimmst du allein! Deine Gefühle sind richtig! Es gibt angenehme und unangenehme Berührungen. Du hast das Recht, NEIN zu sagen! Es gibt gute und schlechte Geheimnisse! Du hast das Recht, darüber zu sprechen und Hilfe zu bekommen. Die Verantwortung trägt die Täterin bzw. der Täter. Du bist nicht schuld!)37
heikle Situationen zu vermeiden, die zu Anschuldigungen führen können
sich bewusst zu sein, ob das eigene Verhalten, z. B. das Ergreifen der Hand eines Kindes – selbst wenn dies zu seiner Beruhigung geschieht –, dem eigenen Bedürfnis dient oder dem Bedürfnis des Kindes dient und ob es von Drittpersonen oder vom Kind oder der Jugendlichen bzw. dem Jugendlichen selbst übergriffig interpretiert werden kann
Situationen zu meiden, bei denen sie isoliert (abgesondert) sind, z. B. in Autos, Büros oder Räumlichkeiten, sodass die jeweiligen Vorgänge nicht von Dritten eingesehen werden können
sich falschem Verhalten zu widersetzen und auf Gefahren, die zu Gewalthandlungen gegenüber Kindern oder Jugendlichen führen können, zu achten
dafür zu sorgen, dass sich – wenn immer möglich – andere Erwachsene in deren Sichtweite aufhalten; wo dies nicht möglich ist, muss nach einer anderen Lösung gesucht werden; dies ist so weit wie möglich auch im Zusammenhang mit dem Bußsakrament zu beachten
sicherzustellen, dass bei fotografischen Aufnahmen (Fotos, Videos usw.) alle abgebildeten Personen korrekt gekleidet sind und sexuell suggestive Posen vermieden werden
sicherzustellen, dass sie bei Ausgängen/Ausflügen stets von zwei erwachsenen Personen
begleitet werden (bei gemischt geschlechtlichen Gruppen müssen auch die Aufsichtspersonen männlich und weiblich sein); besucht eine Erwachsene bzw. ein Erwachsener das Kind oder die Jugendliche bzw. den Jugendlichen in seinem Zimmer, muss die Tür jederzeit offen stehen
sicherzustellen, dass ein geeigneter Ort für die Spendung des Bußsakramentes gewählt wird; immer muss bei der Beichte oder beim Beichtgespräch die nötige physische Distanz gewahrt bleiben.38
B.4.4 Für den Kontakt mit Kindern und Jugendlichen ist untersagt:
jegliche körperliche Züchtigung, wie Schläge oder andere Formen physischer Gewalt
jede Form von sexueller Beziehung zu Kindern oder Jugendlichen
missbräuchlich zu handeln, Tätigkeiten dieser Art zu organisieren oder Aktivitäten zu fördern, die sie dem Risiko gewalttätiger Handlungen aussetzen
gewalttätige oder ausbeuterische Beziehungen zu Kindern oder Jugendlichen
physisch oder sexuell provozierende Sprache, Gebärden und Handlungen
mit einem Kind oder Jugendlichen alleine zu übernachten
sie allein zu sich nach Hause einzuladen
ihnen bei persönlichen Tätigkeiten zu helfen, die sie allein erledigen können, z. B. sich waschen, anziehen, zur Toilette gehen usw. Aktivitäten stillschweigend zu gestatten oder
gar daran teilzunehmen, bei denen das Verhalten des Kindes oder der Jugendlichen bzw. des Jugendlichen möglicherweise zu gewalttätigen oder illegalen Handlungen führt
sie zu beschämen, zu demütigen, herabzusetzen, zu entwürdigen oder sie anderen Formen psychischer Gewalt auszusetzen andere Kinder oder Jugendliche zu diskriminieren, indem einer bzw. einem einzelnen bevorzugte Behandlung gewährt wird, z. B. mittels Geschenken, Zuwendung, Geld usw.
sich übertrieben lange mit einem Kind oder einer Jugendlichen bzw. einem Jugendlichen allein zu beschäftigen und sie damit von den anderen abzugrenzen
Fotos, Videos usw., die das Kind oder die Jugendliche bzw. den Jugendlichen in seiner Würde verletzen, herzustellen bzw. anzuschauen
in einem Beichtgespräch oder in der seelsorglichen Begleitung über intime, sexuelle Verhaltensweisen nachzufragen
Wo es Bereiche gibt, in denen es aufgrund der spezifischen Aufgabenstellung schon im Vorfeld absehbar ist, dass nicht alle unter Punkt 2. angeführten Bereiche eingehalten werden können (z. B. Kinderhospiz, Wohngemeinschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Mutter-Kind-Einrichtungen, Einsätze von Familienhelferinnen und Familienhelfern, …) kann es sinnvoll sein, Zusatzvereinbarungen zu den Dienstverträgen bzw. andere klare Regelungen zu treffen (z. B. vor der Durchführung bestimmter Tätigkeiten eine Kontaktaufnahme mit Vorgesetzten vorzuschreiben).
B.5 Hinweise für den Umgang mit Vermutungen und Beobachtungen
Einem begründeten Verdacht, aber auch Gerüchten muss nachgegangen werden. Ein Verdacht muss zerstreut oder erhärtet werden. Verdacht heißt nicht Beweis, sondern Hinweis auf möglichen Missbrauch. Es bedarf der Zivilcourage, einen Verdacht zu melden. Mit dieser meldenden Person soll aufmerksam und sensibel umgegangen werden. Auch sie braucht Schutz.
Zweifel verursacht das „Vor-Urteil“, dass „so etwas“ in einer ordentlichen, christlichen Familie oder in der Kirche nicht vorkommt. Man darf sich nicht scheuen, diese Zweifel zu thematisieren, denn mit Bewusstem kann besser umgegangen werden als mit unterdrückten Gedanken.
Bei sexueller Gewalt gibt es neben der primären Schädigung durch die Tat an sich auch oft Sekundärschäden, die durch eine übereilte, unprofessionelle Aufdeckung verursacht werden können. Daher ist unbedingt die Ombudsstelle zu informieren.
Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche höchst schutzwürdig sind und jeder Übergriff eine Ausbeutung des Kindes und der Jugendlichen bzw. des Jugendlichen bedeutet. Bei Kenntnis auch nur des Verdachts eines Übergriffes gilt neben der staatlichen Ordnung (Meldung bei der Kinder- und Jugendhilfe) auch die kirchliche Ordnung, wie sie in dieser Rahmenordnung zusammengefasst ist.
Wenn sich der Verdacht erhärtet, beginnt der institutionelle Aufarbeitungsprozess. Wichtig ist, diesen Prozess zeitnah gemeinsam mit verschiedensten Berufsgruppen, die professionell mit den Betroffenen Kontakt haben, vorzubereiten und auch durchzuführen.39
B.5.1 Was ist im Anlassfall zu tun:
Ruhe bewahren
Nichts Übereiltes unternehmen
Niemand kann in Fällen von sexuellem Missbrauch allein Hilfestellung geben, es bedarf der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Hilfen und Institutionen.
Kinder und Jugendliche brauchen meist viel Zeit, um über den Missbrauch sprechen zu können (oft kommt es dazu erst Jahre oder Jahrzehnte danach), und sagen selten alles auf einmal.
Zu berücksichtigen, dass die Kinder bzw. Jugendlichen oft von der beschuldigten Person abhängig sind, von ihr unter Druck gesetzt werden können und ihr gegenüber loyal sein wollen.
Konfrontationen mit dem Verdacht sollen nicht übereilt erfolgen, um zu vermeiden, dass Druck auf Betroffene ausgeübt werden kann, nichts zu sagen, und der Kontakt zur Bezugsperson abgebrochen wird.
Es ist unbedingt Kontakt mit einer Diözesanen Ombudsstelle aufzunehmen.
Alle weiteren Schritte sollen nur mehr gemeinsam mit einer fachlichen Beratung gesetzt werden. Auf keinen Fall versuchen, alleine und ohne Unterstützung durch eine Fachstelle Schritte zur Aufdeckung zu setzen oder Gespräche mit der verdächtigten bzw. beschuldigten Person zu führen. Der betroffenen Person kann damit noch mehr geschadet werden.
B.5.2 Unterstützung des betroffenen Umfeldes
In Einrichtungen, die mit einem Missbrauch in ihrem Bereich konfrontiert werden, gibt es oft so etwas wie einen „institutionellen Schock“. Verwandte, Freundinnen und Freunde, Bekannte, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen reagieren mit Entsetzen, Ungläubigkeit und Ratlosigkeit auf die Information über einen sexuellen Missbrauch in ihrem Umfeld, in ihrer Familie, in ihrer Gemeinde oder in ihrer Einrichtung. Von einem fassungslosen „Das kann einfach nicht wahr sein!“ bis zur selbst beschuldigenden Frage „Warum hat keiner von uns etwas bemerkt?“ oder „Warum wurde nicht früher etwas unternommen?“ reicht die Fragenpalette.
Die Dienstfreistellung einer bzw. eines Beschuldigten reißt immer wieder eine große Kluft in eine Pfarre, Bewegung, Gemeinschaft oder in eine Einrichtung. Verachtung und Solidarität, Mitgefühl und Zweifel erzeugen ein Wechselbad der Gefühle, das viele überfordert.
Der Ordinarius bzw. eine von ihm beauftragte Person trägt im Rahmen seiner bzw. ihrer Zuständigkeit dafür Sorge, dass den im Umfeld betroffenen Personen entsprechende Unterstützung und Hilfestellung angeboten wird (z. B. Supervision, Coaching, Rechtsberatung, Gemeindeberatung etc.). Ebenso ist für geeignete Öffentlichkeitsarbeit und transparente Information des Umfeldes zu sorgen.
B.5.3 Unterstützung der Beschuldigten
Der Ordinarius bzw. eine von ihm beauftragte Person trägt im Rahmen seiner bzw. ihrer Zuständigkeit dafür Sorge, dass
die beschuldigte Person so rasch wie möglich mit den Anschuldigungen konfrontiert wird und eine Möglichkeit zur Stellungnahme hat40
die beschuldigte Person auf ihre Rechte und Beratungsmöglichkeiten hingewiesen wird (z. B. Selbstanzeige oder Anzeige wegen Verleumdung bzw. übler Nachrede)
die beschuldigte Person ein Angebot von geistlicher Begleitung und Therapie erhält
die beschuldigte Person transparent über die nächsten geplanten Schritte informiert wird
B.6 Bestimmungen für Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger
B.6.1 Für die Diözese
B.6.1.1 Gesamtverantwortung
Der Diözesanbischof und alle zuständigen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger in der Diözese sorgen dafür, dass in ihrer Diözese in allen kirchlichen Einrichtungen ein umfassender Prozess in Gang kommt im Hinblick auf die Förderung von Bewusstseinsbildung, Prävention und den klaren und konsequenten Umgang mit dem Problem von Missbrauch und Gewalt in der Kirche. Die Maßnahmen und Regelungen, wie sie in der vorliegenden Rahmenordnung beschrieben sind, sind für sie Richtschnur für das eigene Handeln und ihr persönliches Bemühen, anderen in dieser Problematik die nötigen Impulse zu geben. Der verantwortliche Umgang mit Missbrauch und Gewalt betrifft vergangene, bereits länger zurückliegende und aktuelle Fälle in gleicher Weise.
Der Diözesanbischof und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich vor allem vom Bemühen um Wahrheit und Gerechtigkeit im Umgang mit Missbrauch und Gewalt in der Kirche leiten lassen.
B.6.1.2 Beachtung der Zuständigkeiten
Für den Diözesanbischof und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es selbstverständlich, die Regelungen und Bestimmungen dieser Rahmenordnung persönlich zu beachten und selber im Sinne der Empfehlungen einzelner zuständiger Stellen41 zu handeln. Zugleich ist zu beachten, dass der Diözesanbischof jene Schritte setzen muss, die vom Kirchenrecht bezüglich der delicta graviora im Motu Proprio Vos estis lux mundi und im CIC festgelegt sind.
B.6.1.3 Prävention
Der Diözesanbischof und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich auf allen Ebenen ihrer Diözese ein und engagieren sich persönlich, um Missbrauch und Gewalt zu verhindern. Sie beauftragen und ermutigen die Verantwortlichen aller Ausbildungswege, die Auseinandersetzung mit dieser Problematik in ihrem jeweiligen Ausbildungsbereich zu implementieren und laufend zu evaluieren.
B.6.1.4 Sorge für die Betroffenen
Der Diözesanbischof und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereit, die Leiden der Betroffenen anzuhören, mitzufühlen und konkrete Hilfe und Unterstützung zu leisten. Es ist ihnen ein Anliegen, dass alles getan wird, damit Betroffenen Wege der Heilung eröffnet werden und neue Hoffnung geschenkt wird.
B.6.1.5 Zusammenarbeit zwischen Diözesen und Ordensgemeinschaften
Die Verantwortlichen in den Diözesen und Ordensgemeinschaften üben bei der Aufnahme von Priestern und anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besondere Sorgfalt. Die Informationen aus den bisherigen Wirkungsbereichen werden eingeholt und in den Aufnahmegesprächen wird besonders auf die persönliche Reife geachtet. Die Teilnahme an den diözesan dafür vorgesehenen Begleitprozessen zur Einführung in die Pastoral ist verpflichtend.
B.6.2 Für die Ordensgemeinschaft
B.6.2.1 Verantwortung
In den Ordensgemeinschaften tragen die jeweiligen Oberinnen und Oberen besondere Verantwortung für ihren Bereich im Hinblick auf den Umgang mit Missbrauch und Gewalt. Auch für sie steht die Sorge für die Betroffenen an erster Stelle.
B.6.2.2 Prävention
Die Ordensoberinnen und Ordensoberen setzen sich dafür ein, dass in ihrem Bereich alles geschieht, um Missbrauch und Gewalt zu verhindern. Die Maßnahmen dieser Rahmenordnung sind dabei für sie verpflichtend. Sie sind sich bewusst, dass sie hier eine besondere Verantwortung sowohl für ihre Gemeinschaft als auch für die Ortskirche tragen.
B.6.3 Für die Pfarre
Pfarrer oder ihm rechtlich Gleichgestellte tragen als Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleiter besondere Verantwortung für ihre Gemeinde. Sie müssen deshalb Sorge tragen, dass alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pfarre über die Bestimmungen, Maßnahmen und Verhaltensrichtlinien zur Prävention von Missbrauch informiert sind. In ihrer Funktion müssen sie bei Verletzung der Bestimmungen und Verhaltensrichtlinien Meldung an die Ombudsstelle erstatten und entsprechende Konsequenzen setzen.
Teil der Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt und (sexuellem) Missbrauch ist eine breite interne Information. Aus diesem Grund sollte sich der Pfarrgemeinderat mindestens einmal pro Funktionsperiode mit diesem Thema beschäftigen. Dieser kann und soll dabei auf die Anregungen der Stabsstelle für Prävention von Missbrauch und Gewalt zurückgreifen bzw. auf eigens geschulte regionale Kontakt- und Auskunftspersonen zur Thematik.
Es ist wichtig, das Thema „Nähe und Distanz“ in entsprechender Form in die Pfarrgemeinde einzubringen und mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu diskutieren. Gerade an die Eltern wird durch eine offene und regelmäßige Behandlung des Themas die eindeutige Botschaft gesendet, dass das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen in der Pfarre an erster Stelle steht.
In jedem Pfarrgemeinderat soll eine Person eigens für diese Thematik beauftragt sein (Präventionbeauftragte bzw. Präventionsbeauftragter in den Pfarren). Diese Person unterstützt den verantwortlichen Priester beim Wachhalten der Thematik und bei der Einhaltung der Rahmenordnung. Der Name dieser Person ist dem Ordinariat mitzuteilen.
B.6.4 Für die Kinder- und Jugendpastoral
Im Rahmen der Kinder- und Jugendpastoral sind zwei Themen besonders zu beachten:
Unter den Verantwortlichen muss das Thema „Nähe und Distanz“ und der Umgang mit den Bestimmungen und Verhaltensrichtlinien bearbeitet werden. Eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema ist für die in der Kinder- und Jugendarbeit Verantwortlichen besonders notwendig.
Bei der Auswahl neuer Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter ist darauf zu achten, dass es sich um altersgemäß reife und ausgewogene Persönlichkeiten handelt, die aufgrund ihrer Begabung für Kinder- und Jugendarbeit geeignet sind und die Bereitschaft zur Aus- und Weiterbildung mitbringen. Alle in der Kinder- und Jugendpastoral tätigen Personen müssen eine Grundausbildung absolvieren, in der unter anderem auch die Problematik von Missbrauch und Gewalt thematisiert wird.42
B.6.5 Für den Religionsunterricht und das katholische Schulwesen
Die Schule ist jener Ort, an dem im Religionsunterricht und in katholischen Privatschulen besonders viele Kontakte von Vertreterinnen und Vertretern der Kirche mit Kindern und Jugendlichen geschehen. Der schulische Kontext ist von einer notwendigerweise sehr engen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche geprägt. In der Praxis erfordert dies eine Vertrauensbasis, die insbesondere bei Verdacht auf Missbrauch oder Gewaltanwendung wesentlich ist; natürlich unter Beachtung der einschlägigen rechtlichen Vorschriften.
B.6.6 Für eine kirchliche Gemeinschaft, Bewegung oder Einrichtung
Die vorliegende Rahmenordnung ist für alle kirchlichen Gemeinschaften, Bewegungen und Einrichtungen in Österreich verbindlich.43 In diesem Sinn ist es für deren Leiterin oder Leiter selbstverständlich, die österreichweiten Regelungen und Standards, die in dieser Rahmenordnung beschrieben sind, anzuerkennen. Sie orientieren sich an ihnen und beachten die festgehaltenen Vorgangsweisen in ihrem Bereich. Die Bestimmungen dieser Rahmenordnung sind für ihre Gemeinschaft oder ihre Einrichtung in Kraft zu setzen und allen zugehörigen Personen kundzutun. Die Inkraftsetzung ist von der jeweiligen Verantwortlichen bzw. vom jeweiligen Verantwortlichen der zuständigen territorialen Stabsstelle Prävention schriftlich zu bestätigen – die Meldung ist dort zu dokumentieren.
Jeglicher Vorfall im Sinne des § 1 in Teil C der Rahmenordnung ist ausnahmslos an die Diözesane Ombudsstelle zu melden.
Teil C - Verfahrensordnung
C.1 Geltungsbereich
§ 1
Diese Ordnung gilt für Handlungen von sexuellem Missbrauch und/oder Gewaltanwendung, die durch Kleriker, Ordensleute oder haupt- und ehrenamtliche Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter von Einrichtungen der römisch-katholischen Kirche (im Folgenden: Beschuldigte/ beschuldigte Person) gegenüber Minderjährigen bzw. schutzbedürftigen Erwachsenen (im Folgenden: Betroffene/betroffene Person) verübt wurden.
C.1.1 Definitionen
§ 2
In den Geltungsbereich fallen physische, psychische oder sexuelle Gewalt bzw. Missbrauch.
Unter sexuellem Missbrauch werden jedenfalls jene Handlungen verstanden, die in Art. 6 § 1 Normae44 umschrieben sind. Zusätzlich findet die Ordnung entsprechende Anwendung selbst bei strafrechtlich nicht relevanten Handlungen, die im pastoralen, erzieherischen sowie im betreuenden oder pflegerischen Umgang eine Grenzverletzung darstellen. Letzteres meint ein unangemessenes, mitunter unbeabsichtigtes Verhalten, häufig auch als Folge fachlicher oder persönlicher Unzulänglichkeiten, das nicht nur von objektiven Kriterien, sondern ebenso vom subjektiven Erleben abhängt.
Unter Gewaltanwendung wird ein körperlicher Angriff, die Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten verstanden.
Minderjährige sind sowohl nach österreichischem staatlichem Recht als auch nach katholischem Kirchenrecht Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
§ 3
Geltungsbereich hinsichtlich des Dienstes: Hinsichtlich der Kleriker und Ordensleute gilt die Ordnung, soweit sie im Dienst einer österreichischen Diözese oder Ordensniederlassung stehen oder die Tat in Österreich begangen wurde. Den Ordensleuten sind die Angehörigen der Gesellschaften des apostolischen Lebens und der Säkularinstitute gleichgestellt. Die Verbindlichkeit hinsichtlich der Orden wird in § 79 näher geregelt. Bei Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeitern findet die Ordnung nur Anwendung auf Handlungen, die sie in Zusammenhang mit der Ausübung eines ihnen anvertrauten kirchlichen Dienstes gesetzt haben.
§ 4
Geltung für weitere Einrichtungen:
Die Regelungen sind auch für alle kirchlichen Gemeinschaften (Bewegungen, Vereine, …) und Einrichtungen in Österreich verbindlich, insbesondere für jene, die der Aufsicht des Diözesanbischofs unterstehen. Die Regelungen gelten auch für alle katholischen Privatschulen und elementarpädagogischen Einrichtungen. Weiters für katholische Religionslehrerinnen und -lehrer an öffentlichen und privaten Schulen.
§ 5
Konkurrierende Vorschriften:
Die Ordnung gilt unbeschadet sonstiger berufsspezifischer Vorschriften, wie sie z. B. in der Caritas oder im Bereich der Krankenanstalten und Pflegeheime zu finden sind. Die Anwendung der schulrechtlichen Vorschriften bei Lehrerinnen und Lehrern bleibt unberührt.
§ 6
Abgrenzungs-Tatbestände:
Fälle von Mobbing, Stalking, sexueller oder anderer Diskriminierung am Arbeitsplatz oder sonstige Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgesetz sowie Verletzungen der Aufsichts- oder Obsorgepflicht werden von dieser Verfahrensordnung nicht erfasst. Für diese bestehen eigens eingerichtete Beratungs- und Beschwerdestellen bzw. steht auch die gerichtliche Geltendmachung offen. Wenn allerdings Gewalthandlungen in vermischter Form auftreten, ist diese Ordnung sehr wohl anwendbar (z. B. sexueller Missbrauch und Mobbing).
C.2 Einrichtungen
Die im folgenden genannten Einrichtungen schaffen im Sinne der Rahmenordnung Entscheidungsgrundlagen bzw. geben Voten ab als Grundlage für eine Entscheidung über eine Zuerkennung von finanzieller und/oder therapeutischer Hilfestellung.
§ 7
Zuständigkeiten:
Als Anlaufstelle für betroffene Personen fungieren ausschließlich die Diözesanen Ombudsstellen. Den Betroffenen steht die Wahl der Ombudsstelle innerhalb Österreichs frei. Die Arbeit der Ombudsstellen erfolgt nach dem Prinzip, dass niemand mangels diözesaner Zuständigkeit abgewiesen wird.
Zuständige Diözesane Kommission ist jene, in deren Verantwortungsbereich der angeführte Ort des Vorfalls liegt. Kam es bei einer betroffenen Person zu Vorfällen in mehr als einem Diözesangebiet, werden alle betreffenden Diözesanen Kommissionen für ihre jeweils eigenen Vorfälle tätig. Eine mehrfache Befragung der betroffenen Person ist möglichst zu vermeiden.
Die räumliche Zuständigkeit beschränkt sich nicht auf das Bundesgebiet Österreich.
§ 8
Vermeidung von Parallelverfahren:
Um Parallelverfahren zu vermeiden, prüfen Ombudsstellen bei der Kontaktaufnahme durch eine betroffene Person, ob von dieser bereits eine Meldung vorliegt. Eine dem Datenschutzrecht konforme Abfrage erfolgt. Möchte eine betroffene Person ihr Verfahren in einer anderen Ombudsstelle – mit oder ohne Ergänzung der Angaben – wiederaufnehmen, wird der Fall von der zuvor gewählten Ombudsstelle gänzlich abgetreten.
C.2.1 Die Ombudsstellen
Auftrag:
Anlaufstelle für Betroffene
Meldestelle
Dokumentation von Meldungen
Beratung & Akuthilfe
§ 9
Einrichtung:
In jeder Diözese ist eine Ombudsstelle eingerichtet, an die Fälle von Missbrauch und Gewalt herangetragen werden können und die eine Hilfe für Betroffene und deren Angehörige anbietet.
§ 10
Aufgaben:
Die Ombudsstellen können Krisenintervention leisten und vermitteln bei Bedarf psychotherapeutische und gegebenenfalls seelsorgliche Hilfe. Weiters haben sie den Auftrag, kirchliche Einrichtungen in Fragen der Verhinderung sexuellen Missbrauchs fachlich zu beraten und auf Defizite in der Prävention und im Umgang mit Vorwürfen von Gewalthandlungen und von sexuellem Missbrauch hinzuweisen. Sie kooperieren diesbezüglich auch mit den Stabsstellen für Prävention von Missbrauch und Gewalt. Eine ausführlichere Beschreibung der Arbeitsweise ist unter § 18ff angeführt.
§ 11
Leitung:
Die Leiterin bzw. der Leiter der Ombudsstelle wird für die Dauer von fünf Jahren vom Diözesanbischof ernannt. Der Leiterin bzw. dem Leiter obliegt es, die Arbeit innerhalb der Ombudsstelle zu koordinieren. Die Leiterin bzw. der Leiter vertritt die Ombudsstelle publizistisch und im rechtsgeschäftlichen Verkehr nach außen und berichtet über ihre bzw. seine Tätigkeit regelmäßig an den Diözesanbischof und an den Generalvikar bzw. die zuständigen Personalverantwortlichen.
§ 12
Mitglieder:
Die Leiterin bzw. der Leiter der Ombudsstelle schlägt dem Diözesanbischof bis zu zehn weitere unabhängige Fachleute zur Ernennung für die gleiche Funktionsperiode als Mitglieder vor. Es werden bevorzugt Personen aus den Bereichen Psychologie, Psychotherapie oder Psychiatrie, Sozialarbeit oder verwandten Arbeitsfeldern beauftragt, die bereits Kompetenz in der Therapie und Begleitung von Betroffenen haben. Es empfiehlt sich, auch eine Juristin bzw. einen Juristen als Mitglied zu ernennen. Sowohl die Leiterin bzw. der Leiter der Ombudsstelle als auch alle sonstigen Mitglieder stehen in keinem kirchlichen Dienstverhältnis. Die Mitglieder der Ombudsstelle üben ihre Tätigkeit weisungsfrei aus. Die neuen Mitglieder besuchen möglichst zeitnah nach der Übernahme der Funktion eine Einschulung, die österreichweit organisiert wird. Im Sinne der Qualitätssicherung wird auch eine gemeinsame fachliche Fort- und Weiterbildung geplant.45 Wiederbestellung ist in allen Funktionen auch mehrfach möglich. Bei Beendigung der Mitgliedschaft in der Ombudsstelle vor Ablauf der Funktionsdauer kann im Bedarfsfall die Ernennung eines neuen Mitglieds für die restliche Funktionsdauer durch den Diözesanbischof vorgenommen werden.
§ 13
Vergütung:
Die Mitglieder der Ombudsstelle dürfen von Beschwerdeführerinnen bzw. -führern oder Beschuldigten oder deren jeweiligen Angehörigen weder entgeltliche Aufträge annehmen noch sich sonst wirtschaftliche Vorteile zuwenden oder zusagen lassen. Sie erhalten die Vergütung für ihre grundsätzlich nebenberufliche Tätigkeit ausschließlich von der Diözese.
§ 14
Ausstattung:
Die Diözese stellt der Ombudsstelle die zur Erledigung der administrativen Arbeiten erforderliche Infrastruktur zur Verfügung. Der Sitz der Geschäftsstelle sowie die telefonische oder elektronische Adresse werden im Amtsblatt und in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Für die Budgetierung und Mittelverwendung gelten die jeweiligen diözesanrechtlichen Bestimmungen. Die Diözesanen Ombudsstellen sind mit einem Budget für akute Hilfestellung ausgestattet. Die Beratungstätigkeit durch die Ombudsstelle erfolgt für Hilfesuchende kostenlos.
§ 15
Verhältnis zu den Einrichtungen und Dienststellen der Diözese:
Dienststellen und Einrichtungen der Diözese sind unter Wahrung datenschutzrechtlicher Vorschriften verpflichtet, der Ombudsstelle die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen.
§ 16
Kooperation:
Die Diözesanen Ombudsstellen sind zu strukturierter Zusammenarbeit insbesondere für den Erfahrungs- und Informationsaustausch verpflichtet. Die Leiterinnen und Leiter der Ombudsstellen treffen einander mindestens einmal jährlich und sorgen für eine einheitliche Erfassung und Präsentation statistischer Daten über die Arbeit der Ombudsstellen. Die Leiterinnen und Leiter der Ombudsstellen sorgen auch für eine österreichweite Einschulung von neuen Mitgliedern (vgl. § 12). Ebenso erstellen die Leiterinnen und Leiter einen österreichweit einheitlichen, verbindlichen Kriterienkatalog von Mindestanforderungen für die Auswahl von Fachleuten aus dem Bereich Psychiatrie oder Psychologie für die Plausibilitätsprüfung (vgl. § 25).
C.2.1.1 Arbeitsweise der Ombudsstellen
§ 17
Kontaktaufnahme mit der Ombudsstelle:
a. Betroffenen von Missbrauch oder Gewalt im kirchlichen Bereich oder Personen, die diesbezüglich Beobachtungen gemacht oder Vermutungen haben, wird empfohlen, sich an eine Diözesane Ombudsstelle zu wenden. Wenn Diözesanbischöfen oder Ordensoberinnen und Ordensoberen Vorfälle direkt gemeldet wurden, sind sie verpflichtet, ihrerseits unverzüglich die zuständige Ombudsstelle zu informieren. Anonyme Meldungen sind durch die Ombudsstelle zu dokumentieren, können jedoch nur zu näheren Erhebungen durch die Diözesane Kommission führen, wenn sie ausreichend konkrete Anhaltspunkte enthalten.
b. Meldepflicht: Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kleriker sind unter Berücksichtigung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen sowie unter Wahrung des Berufs- und des absoluten Beichtgeheimnisses verpflichtet, Verdachtsfälle, Beobachtungen und Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich in der Regel bei einer Diözesanen Ombudsstelle zu melden. Die Meldung kann auch beim Diözesanbischof bzw. bei Ordensoberinnen bzw. Ordensoberen46, bei der Stabsstelle für Prävention oder bei der bzw. dem unmittelbar dienstlich Vorgesetzten gemacht werden. Diese bzw. dieser informiert ihrerseits bzw. seinerseits unverzüglich die zuständige Ombudsstelle.
c. Klärung und Beratung: Die Ombudsstelle führt die für die Plausibilitätsprüfung notwendigen Klärungs- und Beratungsgespräche (z. B. mit der meldenden Person, u. U. mit den Vorgesetzten der beschuldigten Person, …) und dokumentiert jede Meldung. Nur wenn sich Betroffene auch persönlich melden, klären sie mit diesen den Sachverhalt näher ab.
d. Die Ombudsstelle ist ausdrücklich nicht zuständig für die Kontaktaufnahme mit Beschuldigten.
§ 18
Verschwiegenheitspflicht:
Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Diözesanen Ombudsstellen gilt im Sinne des Opfer- und Persönlichkeitsschutzes eine strenge Verschwiegenheitspflicht. Das bedeutet, dass für Betroffene ein geschützter und diskreter Rahmen besteht und staatliche Behörden daher grundsätzlich (abgesehen von § 19 Abs. 2) nicht gegen den Willen einer betroffenen Person informiert werden. Die allfällige Entbindung der Mitglieder von berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten richtet sich nach den einschlägigen staatlichen Normen. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit gilt für alle Mitglieder der Ombudsstelle, auch über ihre Funktionsdauer hinaus, ohne zeitliche Einschränkung.
§ 19
Weitergabe von Informationen:
Die Ombudsstelle respektiert die Selbstbestimmung der Betroffenen und gibt die Information grundsätzlich nur mit deren ausdrücklichem schriftlichem Einverständnis an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden und den Ordinarius sowie die Diözesane Kommission weiter. Es ist dabei abzuklären, ob der Name von Betroffenen den Beschuldigten bekannt gegeben werden darf (vgl. Art. 24 Normae). Nur wenn eine schriftliche Zustimmungserklärung der Betroffenen zur Datenweitergabe an die zuständige kirchliche Oberin bzw. den zuständigen kirchlichen Oberen (Diözesanbischof und/oder Ordensoberin bzw. Ordensoberen), an die zuständige Diözesane Kommission, an die Unabhängige Opferschutzkommission und an die Stiftung Opferschutz vorliegt, kann der Wunsch nach finanzieller Hilfestellung bearbeitet werden. Die Ombudsstelle ermutigt Betroffene aber auch selbst zur Anzeige bei staatlichen Behörden (vgl. § 21).
Gibt eine betroffene Person keine schriftliche Zustimmung zur Weiterleitung an die Diözesane Kommission und gegebenenfalls an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden, sind die Erwartungen der Betroffenen näher abzuklären. Es ist darauf hinzuweisen, dass damit die Meldung für den kirchlichen Bereich folgenlos bleiben wird. Besteht die Gefahr, dass weitere Personen durch den Beschuldigten zu Schaden kommen könnten, ist deren Schutz vorrangig (vgl. § 20). Gegebenenfalls wird der Sachverhalt zur staatlichen Anzeige gebracht, nachdem die meldende Person vorab darüber informiert wurde.
§ 20
Bekanntgabe an den Ordinarius:
Bei Gefahr im Verzug muss die Ombudsstelle sofort die kirchliche Oberin bzw. den kirchlichen Oberen (Diözesanbischof und/oder Ordensoberin bzw. Ordensoberen) und die Leitung der kirchlichen Einrichtung oder Gemeinschaft verständigen, damit die erforderlichen Maßnahmen durch den Ordinarius47 bzw. die Ordensoberin oder den Ordensoberen ohne Verzögerung gesetzt werden, gegebenenfalls einschließlich einer Meldung an die staatlichen Behörden.
§ 21
Anzeige bei der Staatsanwaltschaft:
Die Ombudsstelle rät ihrerseits Betroffenen, Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten. Eine angemessene Begleitung oder Unterstützung beim Kontakt mit staatlichen Behörden wird angeboten.
§ 22
Hilfe für Betroffene:
a. Beratungsangebot: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözesanen Ombudsstelle informieren über Verjährungsfristen, mögliche Hilfestellungen und beraten bezüglich nötiger Unterlagen. Die Ombudsstelle informiert Betroffene von Gewalthandlungen und sexuellem Missbrauch sowie gegebenenfalls deren Erziehungsberechtigte ausdrücklich über die Möglichkeiten der Beratung durch nicht kirchliche Einrichtungen. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Tätigkeiten der Ombudsstelle und der Diözesanen Kommission ein Verfahren vor den zuständigen staatlichen Behörden und Gerichten nicht ersetzen und allfällige Verjährungsfristen nicht gehemmt werden.
b. Akuthilfe durch die Ombudsstelle: Die Ombudsstelle schlägt bei Bedarf für Betroffene geeignete erste therapeutische Maßnahmen vor, für die sie die Kosten übernimmt. Sie kann auch auf andere geeignete Beratungs- und Behandlungsstellen verweisen.
§ 23
Seelsorgliche Begleitung:
Auf Wunsch der Betroffenen wird der Kontakt zu einer geeigneten Seelsorgerin bzw. einem geeigneten Seelsorger (z. B. für die Begleitung Be- troffener) durch die Ombudsstelle hergestellt.
§ 24
Hilfe für das Umfeld:
Die Diözesanen Ombudsstellen stehen je nach der Öffentlichkeit des Vorfalls neben der Betreuung der von der Handlung Betroffenen auch für die Beratung und Begleitung der Menschen im (Missbrauchs-)Umfeld zur Verfügung und leisten fachgerechte Hilfe beim Umgang mit Schock, Trauer, Wut, Entsetzen und Verlustgefühlen. Zur Unterstützung des weiteren Umfeldes (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, PGR, Pfarrgemeinde, ...) wird die jeweilige Diözese gegebenenfalls weitere Unterstützung wie z. B. Gemeindeberatung zur Verfügung stellen.
§ 25
Plausibilitätsprüfung und Clearing:
a. Die Ombudsstelle gibt aufgrund der Falldarstellung eine Einschätzung der Plausibilität des Vorbringens der betroffenen oder meldenden Person, d. h., ob die Handlung wenigstens wahrscheinlich ist im Blick auf die Glaubwürdigkeit, Stimmigkeit und Motivation der Meldung.
b. Wird von der betroffenen Person ein Antrag auf eine finanzielle Hilfestellung an die Unabhängige Opferschutzkommission gewünscht, so kann zusätzlich zur Falldokumentation beim Erstgespräch ein weiteres unabhängiges Clearing im Sinne eines Glaubhaftig- keitsgutachtens durch die Diözesane Kommis- sion oder die kirchliche Oberin bzw. den kirchlichen Oberen angefordert werden (i. d. R. in zwei bis drei, aber maximal jedoch in zehn Einheiten). Die Beauftragung dieses Clearings und die Information der betroffenen Person darüber erfolgt ausschließlich durch die Ombudsstelle. Durchgeführt wird das Clear- ing durch ausgewählte und unabhängige Fachleute aus dem Bereich Psychiatrie oder Psychologie, die aus einer bei der Ombuds- stelle aufliegenden Liste gewählt werden können (vgl. § 16). Die Finanzierung des Clearings wird über die Stiftung Opferschutz abgewickelt.
c. Die Diözesanen Ombudsstellen müssen jedem Verdacht nachgehen, auch wenn eine Verjährung eingetreten sein sollte.
§ 26
Falldokumentation:
Die Aussagen über die erhobenen Anschuldigun- gen werden in Form einer österreichweit standardisierten Falldokumentation verschriftlicht.
Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Falldokumentation sind von der betroffenen Person mittels Unterschrift zu bestätigen. Es sind die Namen aller Personen anzuführen, die an den Gesprächen teilgenommen haben. Die Falldokumentation ist ein verpflichtender Bestandteil des Fallaktes.
§ 27
Abschluss:
Die Beendigung der Tätigkeit der Ombudsstelle erfolgt auf folgende Weise:
a. Weiterleitung: Im Falle einer Weiterleitung des angezeigten Sachverhalts an die für den Ort des Vorfalls zuständige Diözesane Kommission wird der Fallakt übermittelt. Darüber hinaus gibt die Ombudsstelle eine Stellungnahme zum Fall ab, wobei ein Votum für oder gegen Hilfestellungen angeführt wird. Die kontaktierte Ombudsstelle begleitet die be- troffene Person auch dann, wenn die Diözesane Kommission einer anderen Diözese zuständig ist.
b. Untersagung der Weiterleitung: Stimmt eine betroffene Person der Weiterleitung an die Diözesane Kommission und gegebenenfalls an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden nicht zu und liegt keine offensichtliche Gefährdung anderer Personen vor, wird der Fallakt mit einem entsprechenden Vermerk abgelegt. Die betroffene Person unterzeichnet eine Erklärung, die beinhaltet, dass sie explizit keine Weiterleitung an die Diözesane Kommission und/oder an die staatlichen Strafverfolgungsbehörden wünscht.
c. Einstellung: Sofern es sich in eindeutiger Weise um keine Sachverhalte im Sinne von § 2 dieser Verfahrensordnung handelt, wird dies der Person, die die Vorwürfe erhoben hat, mitgeteilt und ein Vermerk darüber verfasst. Die Namen der Betroffenen werden in einer eigens gekennzeichneten Evidenzliste geführt.
§ 28
Beschwerden gegen die Ombudsstelle: Beschwerden gegen die Diözesane Ombudsstelle oder einzelne ihrer Mitglieder können beim Diözesanbischof vorgebracht werden, der über die weitere Vorgangsweise entscheidet.
C.2.2 Die Diözesanen Kommissionen
Auftrag:
Kontaktaufnahme mit der kirchlichen Oberin bzw. dem kirchlichen Oberen
Kontaktaufnahme mit Beschuldigten
Gesamtbeurteilung aller Fakten
Abgabe eines Votums zum Ansuchen um Hilfestellung
Empfehlung an die kirchliche Oberin bzw. den kirchlichen Oberen
§ 29
Einrichtung und Aufgabe:
In jeder Diözese ist eine Diözesane Kommission eingerichtet, die mittels Erhebungen eine möglichst umfassende und objektive Beurteilung des Sachverhalts vornimmt. Sie gibt dem Diözesanbischof und/oder der Ordensoberin bzw. dem Ordensoberen Empfehlungen über die weitere Vorgangsweise.
Die Aufgaben der Diözesanen Kommission sind die Durchführung der Erhebungen (vgl. § 41), eine Beschlussfassung (vgl. § 42), Verfassung eines Berichtes (vgl. § 43) und gegebenenfalls die Weiterleitung an die Unabhängige Opferschutzkommission.
§ 30
Mitglieder:
Der Diözesanbischof ernennt mindestens vier und höchstens sieben Kommissionsmitglieder. Die Funktionsdauer der Diözesanen Kommission beträgt fünf Jahre. Die Wiederbestellung der Mitglieder in allen Funktionen ist auch mehrfach möglich. Die neuen Mitglieder besuchen möglichst zeitnah nach der Übernahme der Funktion eine Einschulung, die österreichweit organisiert wird. Im Sinne der Qualitätssicherung wird auch eine gemeinsame fachliche Fort- und Weiterbildung durchgeführt. Bei Beendigung der Mitgliedschaft in der Diözesanen Kommission vor Ablauf der Funktionsdauer wird durch den Diözesanbischof die Ernennung eines neuen Kommissionsmitglieds für die restliche Amtsdauer der Diözesanen Kommission vorgenommen, wobei auf die entsprechende berufliche Fachkompetenz Rücksicht genommen wird. Zur Behandlung einzelner Fälle können von der Diözesanen Kommission für die Dauer dieses Verfahrens weitere Mitglieder kooptiert bzw. als Sachverständige beigezogen werden, die dabei aber lediglich beratendes Stimmrecht besitzen.
§ 31
Qualifikationen der Mitglieder:
Bei der Ernennung von Mitgliedern ist darauf Bedacht zu nehmen, dass in ausreichender Anzahl Fachleute für die verschiedenen Aspekte von Gewalthandlungen und sexuellem Missbrauch ernannt werden. Es sollen nach Möglichkeit jeweils
a. eine Psychologin bzw. ein Psychologe, eine Psychotherapeutin bzw. ein Psychotherapeut oder eine Fachärztin bzw. ein Facharzt für Psychiatrie, wobei auch forensisch-psychiatrische Kompetenz notwendig ist
b. eine Juristin oder ein Jurist
c. eine Pädagogin bzw. ein Pädagoge oder eine diplomierte Sozialarbeiterin bzw. ein diplomierter Sozialarbeiter mit einschlägiger Erfahrung in der Kinder- und Jugendarbeit
d. ein Priester und
e. ein Mitglied einer Ordensgemeinschaft auf Vorschlag der regionalen Ordenskonferenz der Diözesanen Kommission angehören.
Männer und Frauen werden in einem ausgewogenen Verhältnis ernannt.
§ 32
Vorsitzende bzw. Vorsitzender:
Die Mitglieder wählen aus ihrer Mitte eine Vorsitzende bzw. einen Vorsitzenden, die bzw. der dienstrechtlich von der Diözese unabhängig ist und vom Diözesanbischof bestätigt wird. Die vorsitzende Person sorgt dafür, dass das Verfahren nach den vereinbarten Standards abläuft, und koordiniert mit Unterstützung des Sekretariats die Termine, leitet die Abstimmungen und sorgt für einen zügigen Fortgang der Verfahren. Die vorsitzende Person vertritt die Diözesane Kommission publizistisch und im rechtsgeschäftlichen Verkehr nach außen und berichtet über deren Tätigkeit regelmäßig dem Diözesanbischof, dem Generalvikar bzw. den zuständigen Personalverantwortlichen.
§ 33
Arbeitsweise:
Die Diözesane Kommission agiert unabhängig und weisungsfrei. Sie wahrt bei ihrer Tätigkeit den Grundsatz der Objektivität und zieht – so weit möglich – alle zur Beurteilung des Sachverhalts relevanten Umstände in Betracht. Bei Vorliegen eines seine Unbefangenheit beeinträchtigenden Umstandes setzt das betroffene Kommissionsmitglied die Kommissionsvorsitzende bzw. den Kommissionsvorsitzenden und den Diözesanbischof davon in Kenntnis und ist von der Bearbeitung dieses Falles ausgeschlossen.
Erklärt sich die vorsitzende Person der Diözesanen Kommission in einem Fall als befangen, informiert sie die Mitglieder, die aus ihrer Mitte für diesen Fall eine Sprecherin bzw. einen Sprecher wählen.
Eine Diözesane Kommission kann sich insgesamt mittels Mehrheitsentscheid in der Bearbeitung eines Falles als befangen erklären und diesen zur Bearbeitung an eine andere Diözesane Kommission abtreten.
§ 34
Vergütung:
Die Mitglieder der Diözesanen Kommission nehmen von den in einem Fall beteiligten Personen oder deren Angehörigen weder entgeltliche Aufträge an noch lassen sie sich sonst wirtschaftliche Vorteile zuwenden oder zusagen. Sie erhalten die Vergütung für ihre grundsätzlich nebenberufliche Tätigkeit ausschließlich von der Diözese.
§ 35
Verhältnis zu den Einrichtungen und Dienststellen der Diözese:
Dienststellen und Einrichtungen der Diözese sind unter Wahrung datenschutzrechtlicher Vorschriften verpflichtet, der Diözesanen Kommission die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen.
§ 36
Kooperation:
Die Diözesanen Kommissionen verpflichten sich zu strukturierter Zusammenarbeit insbesondere für den Erfahrungs- und Informationsaustausch. Die Vorsitzenden der Diözesanen Kommissionen sorgen auch für eine österreichweite Einschulung von neuen Mitgliedern (vgl. § 30). Die Vorsitzenden der Diözesanen Kommissionen treffen einander mindestens einmal jährlich und sorgen für einheitliche Standards in der Vorgangsweise.
C.2.2.1 Arbeitsweise der Diözesanen Kommissionen
§ 37
Einlangen eines Falls:
Die Diözesane Kommission wird nach Einlangen einer Information über einen Verdachtsfall durch die vom Betroffenen gewählte Ombudsstelle aktiv und erhält von dieser die für diesen Fall erforderlichen Unterlagen. Erhält die Diözesane Kommission unabhängig davon Kenntnis von einem Fall, bezieht sie immer die Diözesane Ombudsstelle ein.
§ 38
Vorgangsweise bei schwerwiegenden Vorkommnissen:
Der Diözesanbischof und/oder die Ordensoberin bzw. der Ordensobere ist bei schwerwiegenden Vorkommnissen sofort über den bisherigen Kenntnisstand vollständig zu informieren, damit entsprechende Maßnahmen gesetzt werden können. In allen Fällen kann der für die beschuldigte Person zuständige Ordinarius oder die Ordensoberin bzw. der Ordensobere bis zum Erhalt des Berichts jederzeit Auskünfte von der vorsitzenden Person verlangen.
§ 39
Zusammenarbeit mit der Ombudsstelle:
Die Diözesane Kommission informiert regelmäßig die begleitende Ombudsstelle über den Stand der Erhebungen und zieht diese nötigenfalls bei. Bei unklarem bzw. unvollständigem Sachverhalt kann der Fall zur Überarbeitung an die Ombudsstelle zurückverwiesen werden, soweit der unklare Sachverhalt mit der betroffenen Person zu klären ist. Die Diözesane Kommission kann die Durchführung eines unabhängigen Clearings bei der Ombudsstelle anfordern (vgl. § 25). Das Verfahren wird fortgesetzt, wenn dieses vorliegt.
§ 40
Verschwiegenheit:
Bei der Prüfung von Verdachtsmomenten sind absolute Vertraulichkeit und Amtsverschwiegenheit analog zu can. 1455 CIC zu garantieren. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit gilt für alle Mitglieder der Diözesanen Kommission, auch über ihre Funktionsdauer hinaus, ohne zeitliche Einschränkung.
§ 41
Erhebungen:
Aufgabe der Diözesanen Kommission ist es, Erhebungen durchzuführen, um zu einer möglichst umfassenden und objektiven Beurteilung des Sachverhalts zu gelangen.
a. Befragung der zuständigen kirchlichen Oberin bzw. des zuständigen kirchlichen Oberen: Die Diözesane Kommission kontaktiert schriftlich die zuständige kirchliche Oberin bzw. den zuständigen kirchlichen Oberen mit den Anschuldigungen und ersucht diese bzw. diesen um eine schriftliche Stellungnahme zu den Vorfällen sowie um ein Votum im Hinblick auf zu gewährende Hilfestellungen. Es ist eine Bringschuld der kirchlichen Oberen, durch gewissenhafte Nachforschungen an der Aufarbeitung mitzuwirken, insbesondere was die Auskunft zu möglichen (namentlich nicht näher bezeichneten) Beschuldigten betrifft.
b. Befragung der bzw. des Beschuldigten:
Die Diözesane Kommission informiert – sofern mit der kirchlichen Oberin bzw. dem kirchlichen Oberen nicht anders besprochen – die Beschuldigte bzw. den Beschuldigten über den gegen sie bzw. ihn erhobenen Vorwurf. Sie bzw. er wird über ihre bzw. seine Rechte belehrt und erhält Gelegenheit zur Stellungnahme (vgl. §§ 57–61).
c. Ziel ist es, aufgrund der Ergebnisse dem Ordinarius oder der Ordensoberin bzw. dem Ordensoberen Empfehlungen zur weiteren Vorgangsweise im Hinblick auf die Beschuldigte bzw. den Beschuldigten zu geben, soweit es im Rahmen von Vorerhebungen möglich ist. Dies gilt gerade dann, wenn seitens der staatlichen Strafverfolgungsbehörden die Ermittlungen aufgrund von Verjährung der Tat oder Todesfall der bzw. des Beschuldigten eingestellt oder gar nicht erst aufgenommen wurden.
d. Weiters werden Auskunftspersonen angehört und die notwendigen Fakten, Beweise und Informationen in angemessener Weise dokumentiert. Erforderliche Akten, insbesondere personenbezogene Akten und Personalakten kirchlicher Stellen, sind der Diözesanen Kommission auf Antrag auszuhändigen oder (unter Wahrung von can. 490 § 3 CIC) in Kopie zu übermitteln.
e. Die diözesanen Stellen bzw. die Ordensleitungen übermitteln die gewünschten Informationen innerhalb von längstens zwei Monaten.
f. Alle erhobenen Auskünfte und Stellungnahmen fließen in die Gesamtbeurteilung durch die Diözesane Kommission ein.
§ 42
Beschlussfassung:
Die Diözesane Kommission beschließt die weitere Vorgangsweise mit dem Fall einstimmig oder legt im Fall von Mehrheitsentscheidungen einen Bericht mit Minderheitenvotum vor. Die Diözesane Kommission ist beschlussfähig, wenn zumindest die Hälfte der ernannten Mitglieder anwesend ist.
a.Weiterleitung an die Unabhängige Opferschutzkommission: Wenn sich die Beschuldigungen nach der Zusammenschau aller Fakten und vorliegenden Informationen erhärten, d.h., es gibt keine ausreichenden Gründe, die an der Plausibilität der Beschuldigung zweifeln lassen, und der Wunsch nach einer finanziellen und/oder therapeutischen Hilfestellung besteht, wird der Fallakt mit einem Votum der Diözesanen Kommission an die Unabhängige Opferschutzkommission zur Entscheidung weitergeleitet.
b. Wenn die Zusammenschau aller Fakten und vorliegenden Informationen sowie die eingehende Prüfung der Anschuldigungen durch die Diözesane Kommission anhand der Glaubhaftigkeitskriterien die Beschuldigung offensichtlich nicht erhärtet erscheinen lassen, d.h., es bestehen ausreichende Gründe, die an der Plausibilität der Beschuldigung zweifeln lassen, wird der Fallakt mit einem Votum der Diözesanen Kommission an die Unabhängige Opferschutzkommission weitergeleitet. Über die Ablehnung des Falles wird in der Unabhängigen Opferschutzkommission entschieden. Kommt die Unabhängige Opferschutzkommission in ihren Beratungen zu einem anderen Ergebnis als im übermittelten Votum der Diözesanen Kommission, wird der Fallakt mit einer schriftlichen Erklärung der Unabhängigen Opferschutzkommission zu den weiteren gewünschten Unterlagen an die Diözesane Kommission zur neuerlichen Befassung zurückverwiesen.
Nach neuerlicher Befassung in der Diöze- sanen Kommission und des daraus resultierenden neuerlichen Votums der Diözesanen Kommission muss der Fallakt wieder an die Unabhängige Opferschutzkommission weitergeleitet werden, die dann abschließend entscheidet. Weicht die abschließende Entscheidung der Unabhängigen Opferschutzkommission vom Votum der Diözesanen Kommission ab, ergeht mit der Entscheidung der Unabhängigen Opferschutzkommission auch eine schriftliche Begründung48 der Unabhängigen Opferschutzkommission an die Stiftung Opferschutz.
c. Diözesaner Abschluss:
Der Fallakt wird von der Diözesanen Kommission abgeschlossen und nicht an die Unabhängige Opferschutzkommission weitergeleitet, wenn zumindest einer der im Folgenden angeführten Fälle vorliegt:
Von der betroffenen Person wird keine finanzielle oder therapeutische Hilfestellung gewünscht.
Der der Diözesanen Kommission vorliegende Sachverhalt fällt nicht in den Geltungsbereich dieser Rahmenordnung (vgl. § 1). Das ist vor allem dann der Fall, wenn
der zu beurteilende Vorfall in keinem Zusammenhang mit einer kirchlichen Trägerschaft oder einem kirchlichen Verantwortungsbereich steht oder
es sich bei den betroffenen Personen nicht um Minderjährige oder schutzbedürftige Erwachsene handelt (d. h. nicht um Betroffene im Sinne des § 1).
Die Diözesane Kommission informiert die Ombudsstelle über den diözesanen Abschluss. Eine entsprechende Information an die betroffene Person ergeht durch die Ombudsstelle.
§ 43
Bericht:
a. Die Diözesane Kommission gibt eine schriftliche Handlungsempfehlung (im Blick auf den Beschuldigten) an den Diözesanbischof und gegebenenfalls an die höhere Obere bzw. den höheren Oberen der betreffenden religiösen Gemeinschaft. Darin wird eine klare Empfehlung zu Sofortmaßnahmen gegeben (z.B. Suspendierung, Dienstfreistellung, Sachverhaltsdarstellung an die Staatsan- waltschaft, …).
b. Die Diözesane Kommission gibt am Ende ihrer Tätigkeit eine Zusammenfassung ihrer Feststellungen mit Bericht über die Beschlussfassung sowie Votum über Hilfestellungen und eine klare Empfehlung zu einem möglichen weiteren Einsatz (uneingeschränkt/ eingeschränkt/kein weiterer Einsatz) der beschuldigten Person bzw. der zu setzenden Maßnahmen (Auflagen, disziplinäre Maßnahmen, Meldung nach Rom, kirchliches Verfahren, …).
§ 44
Empfehlung zur Selbstanzeige:
Der bzw. dem Beschuldigten wird die Selbstanzeige bei staatlichen Strafverfolgungsbehörden empfohlen, wenn sie bzw. er die Tat eingesteht und nicht bereits eine Anzeige von anderer Seite vorliegt.
§ 45
Anzeige bei der Staatsanwaltschaft:
Wenn ausreichend Anhaltspunkte vorhanden sind, die auf eine strafbare Tat hinweisen, soll die Diözesane Kommission dem Ordinarius oder der zuständigen Ordensoberin bzw. dem zuständigen Ordensoberen eine Sachverhaltsdarstellung an die zuständige Staatsanwaltschaft empfehlen. Staatsanwaltliche Ermittlungen genießen Vorrang. Die Tätigkeit der Diözesanen Kommission kann während eines laufenden gerichtlichen bzw. behördlichen Verfahrens für den konkreten Fall sistiert werden, gegebenenfalls erfolgt eine Weiterleitung an die Unabhängige Opferschutzkommission erst nach einer gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidung. Anderweitige Begleitmaßnahmen können je nach Aktenlage empfohlen werden.
§ 46
Einbindung Betroffener:
Die Einbindung von Betroffenen zur persönlichen Teilnahme an Gesprächen vor bzw. mit der Diözesanen Kommission ist nur im Einvernehmen mit der Ombudsstelle und nur soweit wie nötig und möglich vorgesehen.
§ 47
Begegnung der Beteiligten:
Die Diözesane Kommission kann – sofern dies von den Beteiligten gewünscht wird – auch Forum und Organisationsplattform für eine fachkundig begleitete und vorbereitete Begegnung von Betroffenen mit Beschuldigten und überführten Täterinnen bzw. Tätern bzw. deren institutionellen Repräsentantinnen und Repräsentanten (Ordensgemeinschaften, Diözese, Caritas, Schulträger etc.) sein.
§ 48
Rückmeldung zu den Empfehlungen:
Der Diözesanbischof übermittelt der Diözesanen Kommission in der Regel eine Stellungnahme mit einem Kurzbericht über die getätigten Maßnahmen. Die zuständige Ordensoberin bzw. der zuständige Ordensobere soll diesbezüglich sowohl an die Diözesane Kommission als auch an den Diözesanbischof berichten. Die Ombudsstelle wird – wo dies möglich ist – von der Diözesanen Kommission über das Ergebnis informiert und leitet das Ergebnis in entsprechender Form an die Betroffenen weiter.
C.2.3 Sonstige Beraterinnen und Berater
§ 49
Beauftragte Rechtsanwältin bzw. beauftragter Rechtsanwalt:
Für Erstellung und Übermittlung einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft sowie den notwendigen Kontakt mit dieser empfiehlt sich eine diözesan beauftragte Rechtsanwältin bzw. ein diözesan beauftragter Rechtsanwalt. Diese bzw. dieser darf in weiterer Folge nicht die strafrechtliche Vertretung von beschuldigten Personen vor Gericht übernehmen. Ebenso wenig darf sie bzw. er die Betroffenen rechtsfreundlich betreuen.
§ 50
Krisenstab:
Für die Einschätzung der Dringlichkeit sowie der Beurteilung von allfällig erforderlichen Sofortmaßnahmen (mögliche dienstrechtliche Sofortmaßnahmen, Einschaltung von Behörden, Einleiten von kirchenrechtlichen Schritten, Kommunikationsmaßnahmen, …) wird ein diözesaner Krisenstab zusammengestellt, der mit den Ordinarien bzw. Ordensoberinnen und Ordensoberen sowie den betroffenen Einrichtungen zusammenarbeitet. Bei der Kommunikation werden auch die betroffenen Pfarren, Dekanate und Einrichtungen berücksichtigt. Diese können auch Unterstützung erhalten, um die mit dem Verfahren und der Auf- arbeitung zusammenhängenden Belastungen zu bewältigen (vgl. § 24).
C.2.4 Unabhängige Opferschutzanwältin bzw. Unabhängiger Opferschutzanwalt
Auftrag:
Berufung der Mitglieder der Unabhängigen Opferschutzkommission
Vorsitz bei der Unabhängigen Opferschutzkommission ohne eigenes Stimmrecht
Ansprechperson für Medien zum Thema Opferschutzmaßnahmen
§ 51
Opferschutzanwalt/-anwältin:
Die Beauftragung der Unabhängigen Opferschutzanwältin bzw. des Unabhängigen Opferschutzanwaltes erfolgt durch den Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz im Einvernehmen mit der bzw. dem Vorsitzenden der Österreichischen Ordenskonferenz für jeweils fünf Jahre. Eine Wiederbeauftragung ist möglich.
Die Unabhängige Opferschutzanwältin bzw. der Unabhängige Opferschutzanwalt arbeitet weisungsfrei.
Die Unabhängige Opferschutzanwältin bzw. der Unabhängige Opferschutzanwalt beruft Mitglieder in die Unabhängige Opferschutzkommission und leitet die Treffen.
Die Unabhängige Opferschutzanwältin bzw. der Unabhängige Opferschutzanwalt wählt frei und unabhängig maximal acht weitere Personen aus den Bereichen Justiz, Medizin, Psychologie, Pädagogik, Sozialarbeit und Medien, die bereit sind, in der Unabhängigen Opferschutzkommission ehrenamtlich mitzuwirken.
Das der Unabhängigen Opferschutzanwältin bzw. dem Unabhängigen Opferschutzanwalt zugeordnete Sekretariat bereitet die Vorlagen der Fallakten für die Sitzungen der Unabhängigen Opferschutzkommission vor. Die Österreichische Bischofskonferenz und die Österreichische Ordenskonferenz stellen der Unabhängigen Opferschutzanwältin bzw. dem Unabhängigen Opferschutzanwalt bzw. der unentgeltlich tätigen Unabhängigen Opferschutzkommission die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung.
C.2.5 Unabhängige Opferschutzkommission
Auftrag:
Empfehlung an die Stiftung Opferschutz auf der Basis der drei gegebenen Voten (von der Ombudsstelle, der Diözesanen Kommission und der kirchlichen Oberin bzw. dem kirchlichen Oberen), ob und in welchem Ausmaß Hilfestellungen an Betroffene gegeben werden sollen.
§ 52
Unabhängige Opferschutzkommission (UOK): Die Unabhängige Opferschutzkommission ist ein von der römisch-katholischen Kirche unabhängiges zivilgesellschaftliches Personenkomitee, das aufgrund seiner Expertise eine Entscheidung trifft und der Stiftung Opferschutz Empfehlungen für Hilfestellungen an Betroffene gibt.
§ 53
Die Bestellung der Mitglieder der Unabhängigen Opferschutzkommission erfolgt für fünf Jahre.
§ 54
Geschäftsordnung:
Die Unabhängige Opferschutzkommission gibt sich eine Geschäftsordnung, die transparent und nachvollziehbar die weisungsungebundene und frei zu gestaltende Arbeitsweise sowie den schematischen Entscheidungsfindungsprozess wiedergibt.
Die Geschäftsordnung wird der Österreichischen Ordenskonferenz und der Österreichischen Bischofskonferenz zur Kenntnis gebracht.
C.2.6 Stiftung Opferschutz
§ 55
Stiftung Opferschutz:
Die Stiftung Opferschutz ist eine Einrichtung der katholischen Kirche in Österreich. Sie setzt die Empfehlungen der Unabhängigen Opferschutzkommission hinsichtlich Hilfestellungen an Betroffene um.
Es werden einerseits freiwillige Finanzhilfen direkt an Betroffene ausbezahlt und andererseits deren Therapiekosten übernommen. Alle geleisteten Zahlungen werden von der Stiftung von jener kirchlichen Oberin bzw. jenem kirchlichen Oberen (Diözese, Orden) zurückgefordert, in deren bzw. dessen Verantwortung der jeweilige Vorfall liegt.
Die weiteren Aufgaben der Stiftung Opferschutz und deren Arbeitsweise sind in deren Statuten und Geschäftsordnung geregelt. Die Statuten werden von der Österreichischen Ordenskonferenz und Österreichischen Bischofskonferenz beschlossen. Zur Sicherstellung der Liquidität der Stiftung Opferschutz stellen Österreichische Bischofskonferenz und Österreichische Ordenskonferenz die notwendigen Mittel bereit. Die Stiftung Opferschutz arbeitet in enger Kooperation mit dem Beirat Opferschutz.
C.3 Beirat Opferschutz
Auftrag:
Sorge tragen für eine strategische Planung und Weiterentwicklung der Opferschutztätigkeit der katholischen Kirche in Österreich
Kontakt mit und Gesamtkoordinierung der Ombudsstellen, Diözesanen Kommissionen, Stiftung Opferschutz und anderer gleichartiger kirchlicher Einrichtungen
Beobachtung der Umsetzung der Rahmenordnung
Berichtspflicht gegenüber der Bischofskonferenz und der Ordenskonferenz
§ 56
Beirat Opferschutz:
Die Österreichische Bischofskonferenz und die Österreichische Ordenskonferenz richten gemeinsam einen Beirat Opferschutz ein. Amtliche Mitglieder: Zwei Vertreter der Österreichischen Bischofskonferenz; die Vorsitzende bzw. der Vorsitzende und die stellvertretende Vorsitzende bzw. der stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz. Die amtlichen Mitglieder wählen einstimmig eine Vorsitzende bzw. einen Vorsitzenden.
Fachberaterinnen bzw. Fachberater: Die Entscheidung über weitere maximal sechs Fachberaterinnen bzw. Fachberater und eine Sekretärin bzw. einen Sekretär erfolgt durch einstimmigen Beschluss der vier amtlichen Mitglieder. Die Fachberaterinnen bzw. Fachberater bringen idealerweise Fachexpertise aus den Bereichen Psychiatrie/Psychotherapie, Pädagogik/Psychologie, Organisationsentwicklung/Strategie und Rechts- wissenschaft mit. Bei der Zusammensetzung des Beirates wird auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern geachtet.
Die Funktionsdauer der Fachberaterinnen bzw. Fachberater im Beirat beträgt jeweils fünf Jahre. Eine Wiederernennung ist möglich. Es finden zumindest zwei Sitzungen pro Jahr statt.
Der Beirat stimmt die Interessen der Diözesen und der Orden zum Thema Opferschutz ab. Weiters berät der Beirat die Österreichische Bischofskonferenz und die Österreichische Ordenskonferenz in Fragen der Prävention und Maßnahmen und Regelungen gegen Missbrauch und Gewalt.
Aufgabe des Beirates ist die strategische Planung und Weiterentwicklung der Opferschutztätigkeit in der katholischen Kirche in Österreich sowie in enger Kooperation mit der Stiftung Opferschutz die Gesamtkoordination aller kirchlichen Einrichtungen, die mit Aufgaben im Bereich des Opferschutzes betraut sind. Aufgabe des von der Bischofskonferenz beauftragten Bischofs ist es, gemeinsam mit dem Beirat Opferschutz die österreichweite Umsetzung der Rahmenordnung zu beobachten und bei Bedarf eine Aktualisierung bzw. Weiterentwicklung anzuregen.
C.4 Beschuldigte
C.4.1 Stellung des Beschuldigten
§ 57
Unschuldsvermutung:
Bis zum Erweis des Gegenteils gilt in jedem Fall die Unschuldsvermutung. Eine Beurlaubung oder Dienstfreistellung bedeutet keine strafrechtliche Vorverurteilung. Ebenso wenig stellen die Erhebungen und der Bericht der Diözesanen Kommission bereits eine Verurteilung dar, sondern sind allenfalls eine Grundlage für Hilfestellungen der Stiftung Opferschutz.
§ 58
Schutz des guten Rufes:
Bei jeder Form der Kommunikation sind die Persönlichkeitsrechte der bzw. des Beschuldigten, insbesondere das Recht auf die Wahrung des guten Rufes (can. 220 CIC), zu achten.
§ 59
Recht auf Anhörung:
Sofern dadurch die Aufklärung des Sachverhalts nicht gefährdet und die Ermittlungsarbeit der staatlichen Strafverfolgungsbehörden nicht behindert werden, ist Beschuldigten die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Wenn notwendig, sind dabei Maßnahmen zum Schutz Betroffener zu treffen. Dabei wird die beschuldigte Person mit dem Vorwurf oder Verdacht konfrontiert, und es wird ihr Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. Die Anhörung kann persönlich/mündlich durch Vertreterinnen bzw. Vertreter der Diözesanen Kommission oder per Einschreiben schriftlich erfolgen. Die beschuldigte Person hat jedenfalls die Aufgabe des von der Bischofskonferenz beauftragten Bischofs ist es, gemeinsam mit dem Beirat Opferschutz die österreichweite Umsetzung der Rahmenordnung zu beobachten und bei Bedarf eine Aktualisierung bzw. Weiterentwicklung anzuregen.
§ 60
Verteidigungsrecht:
Die bzw. der Beschuldigte kann eine Person ihres bzw. seines Vertrauens hinzuziehen. Sie bzw. er wird über ihr bzw. sein Recht auf Aussageverweigerung informiert.
§ 61
Recht auf Akteneinsicht:
Die Diözesane Kommission bringt der bzw. dem Beschuldigten alle maßgeblichen Fakten zur Kenntnis, damit sie bzw. er auch ihr bzw. sein Verteidigungsrecht wahrnehmen kann. Die bzw. der Beschuldigte hat das Recht auf Akteneinsicht. Die vorsitzende Person der Diözesanen Kommission kann die Akteneinsicht beschränken, wenn die betroffene Person glaubhaft macht, dass ihr dadurch Schaden droht (vgl. Art. 24 Normae), oder wenn andere Personen vielleicht gefährdet sind.
C.4.2 Sofortmaßnahmen hinsichtlich der Beschuldigten
§ 62
Möglichkeit, innerhalb von zwei Monaten eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
Kein Kontakt:
Nach Möglichkeit wird verhindert, dass Beschuldigte weiterhin Kontakt zu jenen Personen haben, die die Beschuldigungen erheben bzw. von der gemeldeten Tat betroffen sind.
§ 63
Maßnahmen hinsichtlich des Dienstes:
a. Kleriker:
Wenn sich der Verdacht im Rahmen der Erhebungen erhärtet oder eine Untersuchung durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden eingeleitet wurde, wird dem Beschuldigten eine Beurlaubung nahegelegt oder bei entsprechender Dringlichkeit eine Dienstfreistellung vom Ordinarius auferlegt. Dabei kann es geboten sein, ihm eine Weisung bezüglich seines Aufenthaltsortes zu erteilen und ein Kontaktverbot zu Betroffenen aufzuerlegen sowie ihn von allen Tätigkeiten, bei denen Minderjährige, schutzbedürftige Erwachsene oder Personen in einem Abhängigkeitsverhältnis gefährdet sein könnten, fernzuhalten. Vorbeugende Maßnahmen strafrechtlichen Charakters sind gemäß can. 1722 CIC und Art. 19 Normae dem kanonischen Voruntersuchungsverfahren vorbehalten.
b. Laienangestellte:
Sind Angestellte aus dem Laienstand von einem konkreten Verdacht betroffen, informiert der zuständige Ordinarius bzw. die zuständige Ordensoberin bzw. der zuständige Ordensobere die jeweilige Personalverantwortliche bzw. den jeweiligen Personalverantwortlichen umgehend. Diese bzw. dieser leitet nach einer Stellungnahme der bzw. des Betroffenen die notwendigen arbeitsrechtlichen Schritte ein. Liegt ein Geständnis vor bzw. kommt es zu einer strafrechtlichen Verurteilung, so ist eine Kündigung nicht ausgeschlossen.
c. Ehrenamtliche:
Wenn sich der Verdacht im Rahmen der Erhebungen erhärtet oder eine Untersuchung durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden eingeleitet wurde, wird eine weitere Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit bis zur Klärung des Tatbestandes unterbunden.
d. Lehrerinnen bzw. Lehrer:
Wenn kirchlich bestellte Religionslehrerinnen und -lehrer, Religionslehrerinnen und -lehrer im Bundes- oder Landesdienst oder Lehrerinnen oder Lehrer an katholischen Privatschulen betroffen sind, informiert der zuständige Ordinarius bzw. die zuständige Ordensoberin bzw. der zuständige Ordensobere die zuständigen schulbehördlichen Instanzen umgehend.
e. Bei Ordensangehörigen,
die nicht unter lit. a–d fallen, trifft die zuständige Ordensoberin bzw. der zuständige Ordensobere geeignete Maßnahmen, sodass Minderjährige, schutzbedürftige Erwachsene sowie Personen in einem Abhängigkeitsverhältnis weder durch ihre bzw. seine Tätigkeit noch durch ihren bzw. seinen Aufenthaltsort gefährdet werden können.
§ 64
Betreuung der bzw. des Beschuldigten:
Es muss Sorge der kirchlichen Oberin bzw. des kirchlichen Oberen sein, dass sowohl Beschuldigte als auch Täterinnen und Täter seelsorglich begleitet werden und, wenn nötig, juristische und therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, um vor allem neuerlichen Vorfällen möglichst vorzubeugen.
§ 65
Rückmeldung:
Die zuständige kirchliche Oberin bzw. der zuständige kirchliche Obere informiert die Diözesane Kommission und die Diözesane Ombudsstelle und die Stabsstelle Prävention über die für die Beschuldigte bzw. den Beschuldigten gezogenen Konsequenzen.
C.4.3 Mögliche Konsequenzen für Beschuldigte
§ 66
Beschränkungen und Auflagen:
Unbeschadet der sich aus dem kirchlichen oder staatlichen Strafverfahren ergebenden Konsequenzen kann die Diözesane Kommission dem für die Beschuldigte bzw. den Beschuldigten zuständigen Ordinarius bzw. der zuständigen Ordensoberin bzw. dem zuständigen Ordensoberen Beschränkungen und Auflagen für die eventuell weitere Ausübung ihres bzw. seines Dienstes vorschlagen. Zu den Auflagen zählen unter anderem Supervision, Therapie, Aufenthalt in einem geeigneten, spezialisierten „Recollectio-Haus“ oder ein Werk der Buße.
§ 67
Kein Einsatz bei Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen:
In Fällen von gravierenden Grenzüberschreitungen oder erwiesenem Missbrauch von Minderjährigen wird die Täterin bzw. der Täter nicht mehr in der Pastoral eingesetzt, wo der Kontakt zu Minderjährigen, schutzbedürftigen Erwachsenen sowie Personen in einem Abhängigkeitsverhältnis (etwa in der Krankenhaus- und Pflegeheimseelsorge) gegeben ist.
§ 68
Voraussetzung für einen weiteren kirch- lichen Einsatz:
Soweit die betreffende Person im kirchlichen Dienst verbleibt, wird ein forensisch- psychiatrisches Gutachten eingeholt, das konkrete Angaben darüber enthalten soll, ob und gegebe- nenfalls wie die Täterin bzw. der Täter so eingesetzt werden kann, dass es nicht zu einer Gefährdung von Minderjährigen oder zu sonst Schutzbedürftigen kommt. Das Verbleiben im kirchlichen Dienst ist auch davon abhängig, ob dadurch ein berechtigtes Ärgernis oder eine Gefährdung des Vertrauens in die Kirche hervorgerufen werden kann. Die Entscheidung über mögliche Arbeitsbereiche, aufzuerlegende Maßnahmen und Einschränkungen obliegt dem Diözesanbischof bzw. der zuständigen höheren Ordensoberin bzw. dem zuständigen Ordensoberen, wobei sie bzw. er Empfehlungen der Diözesanen Kommission berücksichtigen soll. Es obliegt dem Ordinarius, dafür Sorge zu tragen, dass die von ihm verfügten Beschränkungen oder Auflagen eingehalten werden. Das gilt bei Klerikern auch für die Zeit des dienstlichen Ruhestands.
§ 69
Informationspflicht:
Wird ein Kleriker oder eine Ordensangehörige bzw. ein Ordensangehöriger innerhalb der Diözese versetzt, wird die bzw. der neue Dienstvorgesetzte über die besondere Problematik und eventuelle Auflagen unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften informiert. Bei Versetzung oder Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Diözese wird der Diözesanbischof bzw. die Ordensoberin bzw. der Ordensobere, in deren bzw. dessen Jurisdiktions- bzw. Zuständigkeitsbereich eine Täterin bzw. ein Täter sich künftig aufhält, ebenfalls davon in Kenntnis gesetzt.
C.4.4 Rehabilitation
§ 70
Rehabilitationsmaßnahmen:
Erweist sich ein Vorwurf oder Verdacht als unbegründet, weden die notwendigen Schritte unternommen, um den guten Ruf der fälschlich beschuldigten oder verdächtigten Person wieder- herzustellen. Dazu zählen unter anderem die sofortige Aufhebung der Dienstfreistellung sowie der anderen disziplinären Maßnahmen und eine angemessene Information der Öffentlichkeit sowie des dienstlichen Umfeldes der bzw. des Beschuldigten.
C.5 Verhältnis zu anderen Verfahren
C.5.1 Kirchliches Strafverfahren
§ 71
Verfahrensvoraussetzungen:
Bei Klerikern hat deren Ordinarius hinsichtlich der Tatbestände von Art. 6 der Normae in der geltenden Fassung die Notwendigkeit eines kanonischen Voruntersuchungsverfahrens zu prüfen. Zur Prüfung der Wahrscheinlichkeit einer Plausibilitätsprüfung der Ombudsstelle, das Votum über die Erhärtung eines Verdachts durch die Diözesane Kommission sowie allfällig verfügbare Ergebnisse der staatlichen Strafverfolgungs-Straftat nach can. 1717 § 1 CIC kann er das Ergebnis der behörden heranziehen. In dringlichen Fällen mit klarem Tatverdacht und Gefahr im Verzug ist die kanonische Voruntersuchung sofort einzuleiten. Das Verfahren gemäß Rahmenordnung wird unabhängig vom Fortschritt bzw. Ausgang eines kirchlichen Strafverfahrens weitergeführt und abgeschlossen.
§ 72
Einleitung der kanonischen Voruntersuchung: Ist auch nur die Wahrscheinlichkeit einer Straftat gegeben, hat der Ordinarius die Durchführung einer Voruntersuchung anzuordnen, bei welcher der Tatbestand, die näheren Umstände und die strafrechtliche Zurechenbarkeit untersucht werden, sofern dies nicht als gänzlich überflüssig erscheint (can. 1717 § 1 CIC). Er kann dabei auf geeignete Personen zurückgreifen oder einen Voruntersuchungsführer bestellen, der die entsprechende Erfahrung hat. Die Voruntersuchung ist mit einem Dekret einzuleiten und mit einem Dekret abzuschließen. Danach muss der Ordinarius den gesamten Fallakt, versehen mit seinem persönlichen Votum, der Glaubenskongregation zuleiten, welche die bereits getroffenen Maßnah- men bestätigt oder korrigiert und die weitere Vorgangsweise festlegt (z. B. ob und von wem ein administratives Strafverfahren oder ein kirchlicher Strafprozess durchzuführen ist sowie ob die Verjährung der Tat geltend gemacht oder davon derogiert werden soll).
§ 73
Vorsichtsmaßnahmen:
Wenn im Rahmen der kanonischen Voruntersuchung Vorsichts- oder Disziplinarmaßnahmen vom Ordinarius verhängt werden, die noch keine Strafen darstellen, ist der Beschuldigte anzuhören (vgl. can. 1722 CIC und Art. 19 Normae).
§ 74
Unterschiedliche Tatbestände und Fristen:
In Zusammenhang mit der Berücksichtigung des Tatzeitpunktes und der diesbezüglich geltenden Rechtslage sind auch die Verjährungsfristen für die jeweiligen Straftaten zu beachten. Im Kirchenrecht beträgt die Verjährungsfrist zur strafrechtlichen Verfolgung sexueller Missbrauchstaten von Klerikern 20 Jahre, die bei minderjährigen Betroffenen aber erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres zu laufen beginnt. Die Glaubenskongregation hat darüber hinaus die Vollmacht, diese Verjährungsfrist in begründeten Einzelfällen aufzuheben (vgl. Art. 7 Normae).
§ 75
Beschwerdemöglichkeit:
Sofern der zuständige Ordinarius nicht oder nicht in gewünschter Weise tätig wird, kann eine betroffene Person ihre Anzeige direkt der Kongregation für die Glaubenslehre zuleiten (vgl. Art. 17 Nor- mae).
C.5.2 Staatliches Straf- und Zivilverfahren
§ 76
Kein Ersatz für staatliche Verfahren:
Die Diözesane Kommission ist unabhängig von allenfalls zum selben Sachverhalt geführten Verfahren vor staatlichen Behörden und Gerichten tätig. Ihre Arbeit kann und soll ein Verfahren vor den staatlichen Behörden und Gerichten nicht ersetzen und darf auch nicht den Eindruck erwecken, dass durch die Diözesane Kommission verbindliche Schuld- oder Freisprüche gefällt werden könnten. Die Tätigkeit der Diözesanen Kommission ersetzt kein – allenfalls eingeleitetes – staatliches oder kanonisches Untersuchungsverfahren. Kirchliche Gerichte können keine staatlich durchsetzbaren Exekutionstitel für Geldforderungen schaffen.
§ 77
Anzeigepflicht:
Nach den Bestimmungen der österreichischen Strafprozessordnung ist jeder, der Kenntnis von einer strafbaren Handlung erlangt, zur Anzeige bei der Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt. Dazu verpflichtet sind aber, mit Ausnahmen, nur Behörden oder öffentliche Dienststellen sowie in bestimmten Fällen Psychologinnen bzw. Psychologen, Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeuten und andere Gesundheitsberufe.
§ 78
Verjährungsfristen:
Zu unterscheiden ist die strafrechtliche Verjährung, der Wegfall der Strafbarkeit nach einem bestimmten Zeitraum nach der Tat, von der zivilrechtlichen Verjährung, dem Wegfall gerichtlicher Durchsetzbarkeit von Schadenersatzansprüchen durch Zeitablauf. Wenn Betroffene Schadenersatz zivilrechtlich anmelden, können die zivilrechtlichen Verjährungsfristen geltend gemacht werden, welche drei oder dreißig Jahre betragen, je nachdem, gegen wen sich der Anspruch richtet und auf welchen Rechtsgrund er gestützt wird. Gegen die unmittelbare Täterin bzw. den unmittelbaren Täter selbst gilt bei strafbaren Handlungen, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, die 30-jährige Frist. Gegen Institutionen, denen z. B. ein Organisationsverschulden, beispielsweise fehlende Kontrollen, vorgeworfen werden kann, ist höchstens die Frist von drei Jahren anwendbar.
C.5.3 Verhältnis zwischen Orden und Diözesen
§ 79
Zuständigkeit:
Orden diözesanen Rechts – die §§ 79–82 beziehen sich analog auf Gesellschaften des apostolischen Lebens und Säkularinstitute – unterstehen der Hirtensorge des Diözesanbischofs (can. 594 CIC). Über Orden päpstlichen Rechts kommen dem Diözesanbischof jedenfalls die Befugnisse der cann. 678–683 CIC insbesondere hinsichtlich der Apostolatswerke zu. Auf diesen Grundlagen werden die Regelungen dieser Verfahrensordnung auch auf Ordensangehörige angewandt. In den anderen Fällen liegt die Zuständigkeit allein bei der jeweiligen höheren Ordensoberin bzw. bei dem jeweiligen höheren Ordensoberen, die bzw. der die Verfahrensordnung auch für ihren bzw. seinen Bereich in Kraft setzt. Was in dieser Verfahrensordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Ombudsstellen und Diözesanen Kommissionen einerseits und den Ordinarien andererseits festgelegt ist, gilt dann sinngemäß für die Zusammen- arbeit mit den höheren Ordensoberinnen bzw. den höheren Ordensoberen, auch wenn sie keine Ordinarien gem. can. 134 §1 CIC sind.
§ 80
Informationsaustausch:
Die dem Diözesanbischof zugeordneten Ämter und Einrichtungen sind bei einem Wechsel einer Mitarbeiterin bzw. eines Mitarbeiters in eine ordenseigene Einrichtung zu offener Information über relevante Umstände verpflichtet, sofern arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht dagegensprechen. Die Ordensgemeinschaften geben diese Informationen auch bei einem umgekehrten Wechsel weiter.
§ 81
Zusammenarbeit bei Verdachtsfällen:
Die Ordensoberinnen bzw. Ordensoberen bedienen sich bei Verdachtsfällen und Vorwürfen von Missbrauch und Gewalt in ihrem Bereich der zuständigen diözesanen Einrichtungen (Om- budsstelle und Diözesane Kommission) und informieren den jeweiligen Diözesanbischof.
§ 82
Entlassung von Ordensmitgliedern aus ihrem Institut: Die Ergebnisse der Untersuchungen und eines eventuellen Strafverfahrens können auch bei einem nach dem Eigenrecht durchzuführenden Verfahren zur Entlassung aus dem Ordensinstitut herangezogen werden (vgl. cann. 694-704 CIC).
C.6 Arbeitsweise
Die detaillierte Arbeitsweise ist in den Durchführungsbestimmungen (gemeinsamen Standards der im kirchlichen Opferschutz tätigen Stellen in der Vor- und Nachbereitung von Entscheidungen durch die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft) festgeschrieben.
C.7 Inkrafttreten
Die Rahmenordnung wurde im Mai 2021 in der Vollversammlung der Österreichischen Ordenskonferenz und im Juni 2021 in der Plenaria der Österreichischen Bischofskonferenz beschlossen und tritt mit 1. September 2021 in Kraft.
Teil D Anhang
D.1 Schematische Darstellung der Vorgehensweise
D.1.1 Vorgehensweise bei Wunsch der betroffenen Person nach Hilfestellung (therapeutisch/finanziell)
D.1.2 Vorgehensweise, wenn kein Wunsch nach Hilfestellung (therapeutisch/finanziell)
Nähe und Distanz .......................................... A.2
Pädophilie bzw. Hebephilie ........................ A.1.3
D.3 Meldepflicht an die Glaubenskongregation
Ergibt sich aus der Voruntersuchung die Glaubwürdigkeit eines dem (Erz-)Bischof gemeldeten Sachverhaltes (bezüglich Tatbestand, Umstände, Zurechenbarkeit), wonach eine Straftat sexuellen Missbrauchs von einem Kleriker an einem Minderjährigen im Alter von weniger als 18 Jahren begangen wurde49, ist der Fall stets an die Glaubenskongregation weiterzuleiten. Diese – und nur diese – entscheidet über das weitere Vorgehen für den innerkirchlichen Bereich (zusätzlich zur strafrechtlichen Beurteilung durch staatliche Behörden).50
Die Glaubenskongregation legt nach Prüfung der Akten fest, welcher Verfahrensweg weiter innerkirchlich zu beschreiten ist und wer diesen durchzuführen hat. Steht die Schuld des Angezeigten ohne Zweifel und gut dokumentiert fest, kann in sehr gravierenden Fällen (bei denen etwa schon eine längere Haftstrafe verhängt wurde) dem Papst unmittelbar die Entscheidung vorgelegt werden, eine Entlassung von Amts wegen auszusprechen, sofern der Betroffene nicht bereits selbst um Rückversetzung in den Laienstand nachgesucht hat.
Die Glaubenskongregation kann aber auch ent- scheiden, dass ein (Erz-)Bischof bevollmächtigt wird, selbst oder durch einen Delegierten zusammen mit zwei Beisitzern ein Verwaltungsstrafverfahren durchzuführen.51 Hält der Ordinarius als Strafe die Entlassung aus dem Klerikerstand für angemessen, muss er dies der Glaubenskongregation mitteilen, die für die Erteilung der dazu erforderlichen Bevollmächtigung an den Ordinarius zuständig ist.
Es ist ebenso denkbar, dass die Glaubenskongregation dem Ordinarius die Vollmacht erteilt, durch sein Diözesangericht einen Strafprozess durchführen zu lassen, wobei der Berufungsentscheid aber stets der Kongregation vorbehalten ist. Dieser sind daher die Akten erster Instanz immer zu übermitteln, damit der dort zuständige Kirchenanwalt das Strafurteil eventuell anfechten kann.
Sollten keine weitergehenden Strafen nötig erscheinen, kann die Glaubenskongregation angemessene (Disziplinar-)Maßnahmen vorschlagen oder bestätigen (z. B. Beschränkungen in der Amtsausübung, Entfernung aus dem unmittelbaren Seelsorgedienst, keine Messen mit den Gläubigen).
Sind die betroffenen Kleriker Ordensleute, sind die Ergebnisse der Voruntersuchung zusammen mit einer Stellungnahme des Beschuldigten dem obersten Leiter des Instituts zu übermitteln, der diese dann zusammen mit seinem Votum sowie dem seines Rats an das Höchste Gericht der Glaubenskongregation schickt. Wird in einem Verwaltungsstrafverfahren des obersten Leiters (mit seinem Ratsgremium) die Entlassung aus dem Institut als notwendig erachtet, ist dieses Dekret von der Glaubenskongregation zu bestätigen, wobei diese auch darüber entscheidet, ob zugleich eine Entlassung aus dem Klerikerstand verfügt wird. Bei Instituten diözesanen Rechts muss jeder Antrag des obersten Leiters an die Glaubenskongregation vom Diözesanbischof des (Neben-)Wohnsitzes befürwortet sein.
D.3.1. Dokumente
Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen kirchlichen Dokumente sind Sacramentorum sanctitatis tutela und Normae de gravioribus delictis. Diese finden sich unter: Congregatio pro Doctrina Fidei, Normae de delictis Congregationi pro Doctrina Fidei reservatis seu Normae de delictis contra fidem necnon de gravioribus delictis (21.5.2010), in: AAS 102 (2010) 419-434.
Verwiesen wird auch auf das Vademecum: „Zu einigen Fragen in den Verfahren zur Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker“ (Ver 1.0 vom 6.7.2020)
D.4 Verpflichtungserklärung auf die Rahmenordnung für Mitarbeitende
„Die Wahrheit wird euch frei machen“
Die Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen – Maßnahmen, Regelungen und Orientierungs- hilfen gegen Missbrauch und Gewalt im kirchlichen Bereich“ der Österreichischen Bischofskonferenz ist ein verbindliches Dokument für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der katholischen Kirche.
Ich....................................................................... verpflichte mich in meinem kirchlichen Dienst im Sinne der Regelungen und Bestimmungen zu handeln und sie in meinem Arbeitsbereich anzuwenden und einzuhalten. Besonders werde ich darauf achten,
dass meine Arbeit mit Menschen in allen Bereichen der Kirche auf der Grundlage von Respekt und Wertschätzung geschieht
dass ich das individuelle Grenzempfinden des jeweiligen Gegenübers beachte und respektiere
dass ich verantwortungsvoll mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehe und gegebene Autoritäts- und Vertrauensverhältnisse nicht ausnütze
dass ich mich in meinem Dienst an den Verhaltensrichtlinien (siehe Teil B 2) orientiere und danach handle
dass ich mich bei Verdacht auf psychische, physische, geistliche und sexuelle Übergriffe an eine Diözesane Ombudsstelle wende, um mit dieser das weitere Vorgehen abzusprechen
dass ich die Schulungs- und Weiterbildungsangebote in Anspruch nehme
Ich bestätige, dass mir durch die/den Verantwortliche/n die Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ als eine für meine Arbeit verbindliche Orientierung zur Kenntnis gebracht wurde.
Niemand kann in Fällen von sexuellem Miss- brauch allein Hilfestellung geben, es bedarf der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Hilfen und Institutionen.
Kinder und Jugendliche brauchen meist viel Zeit, um über den Missbrauch sprechen zu können (oft kommt es dazu erst Jahre oder Jahrzehnte danach), und sagen selten alles auf einmal.
Zu berücksichtigen ist, dass die Kinder bzw. Jugendlichen oft von der beschuldigten Person abhängig sind, von ihr unter Druck gesetzt werden können und ihr gegenüber loyal sein wollen.
Konfrontationen mit dem Verdacht sollen nicht übereilt erfolgen, um zu vermeiden, dass Druck auf Betroffene ausgeübt werden kann, nichts zu sagen, und der Kontakt zur Be- zugsperson abgebrochen wird.
Es ist unbedingt Kontakt mit einer Diözesanen Ombudsstelle aufnehmen.
Alle weiteren Schritte sollen nur mehr ge- meinsam mit einer fachlichen Beratung gesetzt werden. Auf keinen Fall versuchen, alleine und ohne Unterstützung durch eine Fachstelle Schritte zur Aufdeckung zu setzen oder Gespräche mit der verdächtigten bzw. beschuldigten Person zu führen. Der betrof- fenen Person kann damit noch mehr geschadet werden.
Anmerkungen
[1] Papst Franziskus: Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise, 2020; Aus dem Kapitel: Eine Zeit zum Sehen, S. 36-38.
[3] Benedikt XVI.: Brief an die Katholiken in Irland vom 20. März 2010, Nr. 12.
[4] § 212 StGB „Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses“ Absatz 2: lit. 1: Zu bestrafen ist, wer als Angehöriger eines gesetzlich geregelten Gesundheitsberufes oder Seelsorger [sic!] mit einer berufsmäßig betreuten Person, unter Ausnützung seiner Stellung dieser Person gegenüber, eine geschlechtliche Handlung vornimmt oder von einer solchen Person an sich vornehmen lässt oder, um sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen.
[5] Nach österreichischer Rechtsordnung werden Personen bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres als „Kinder“, bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres als „unmündige Minderjährige“ und bis zum 18. Lebensjahr als „mündige Minderjährige“ bezeichnet. Das sogenannte Schutzalter für bestimmte Straftatbestände endet mit der Vollendung des 16. Lebensjahres. Vgl. dazu auch can. 97 §1f CIC.
[6] „Besonders schutzbedürftige Personen“ meint Menschen, die aufgrund ihres Alters, ihrer Krankheit, ihrer Pflegebedürftigkeit oder aus anderen Gründen (z. B. einer seelsorglichen Abhängigkeit) der besonderen Fürsorge und Betreuung bedürfen und somit auch einen besonderen Schutz genießen.
[7]Das sind zum Beispiel: Priester, Diakone, Gruppenverantwortliche, Pastoralassistentinnen und -assistenten, Jugendleiter, Mesnerinnen und Mesner, …
[8] In der englischsprachigen Fachliteratur wird von „Neglect“ und „Institutional Neglect“ gesprochen.
[9] Zu Kapitel 3 vgl. die Begriffsbestimmung des Vorarlberger Kinderdorfes (www.kinderdorf.cc) sowie den Artikel von Christine Bodendorfer in „junge_kirche“ Ausgabe 1/96.
[10] In verschiedenen Studientagungen wird dieses Thema von Fachleuten derzeit ausführlich diskutiert. Vgl. dazu z. B.: Gefährliche Seelenführer. Geistiger und geistlicher Missbrauch. Hrsg. von Heinrich Timmerevers und Thomas Arnold (Herder Thema), Freiburg 2021.
[11] Vgl. dazu „junge_kirche“ Ausgabe 1/96.
[12] Andere Bezeichnungen für „sexuellen Missbrauch“ sind „sexuelle Gewalt“ oder „sexualisierte Gewalt“. Der Begriff „sexueller Missbrauch“ ist eine gängige gesellschaftliche Diktion und wird deshalb hier verwendet. Allerdings birgt der Begriff eine gewisse sprachliche Problematik in sich, weil es im Gegensatz zu „sexuellem Missbrauch“ keinen „sexuellen Gebrauch“ geben kann.
[13] Strafgesetzbuch, 10. Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Vergewaltigung, geschlechtliche Nötigung, sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person, schwerer sexueller Miss- brauch von Unmündigen, sexueller Missbrauch von Unmündigen; BGBl. Nr.60/1974 idF BGBl. I Nr.15/2004, §§ 201–207.
[15] Eldridge, Hilary, Faithful Foundation; Quelle: Literaturrecherche und Analyse zum Thema „Arbeit mit Gewalttätern“ – Endbericht. Institut für Konfliktforschung, Wien 1998.
[16] Ausführlicher beschrieben und zusammengefasst in: Lehner-Hartmann, Andrea: Wider das Schweigen und Vergessen. Gewalt in der Familie: Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und praktisch-theologische Reflexionen, Wien 2002, S. 171-176.
[17] Vgl. Dreßing, Harald/Salize, Hans Joachim u. a.: MHG-Studie. Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, 2018, S. 281
[18] Haker, Hille/Ammicht Quinn, Regina/Junker-Kenny, Maureen: Postskriptum, in: Concilium 40 (2004), S. 264-365.
[19] Vgl. absolutio complicis, can. 1387 CIC.
[20] Treffen „Der Schutz von Minderjährigen in der Kirche“, Vatican, 21. Februar 2019, www.vatican.va.
[21] Vgl. dazu auch Präventionsanregungen der Schweizer Bischofskonferenz, www.sbk-ces-cvs.ch.
[24] Für Priesteramtskandidaten vergleiche dazu: can. 247 CIC, Johannes Paul II., Nachsynodales Schreiben „Pastores dabo vobis“ über die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart, vom 25.3.1992, Artikel 29, 43ff; Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gemeinschaften des Apostolischen Lebens, Richtlinien für die Ausbildung in den Ordensinstituten, vom 2.2.1990, Artikel 13, 39ff, in: www.vatican.va.
[25] Der Begriff Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfasst hier alle Priester, Diakone, Ordensleute sowie Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer oder in einer leitenden Rolle einer kirchlichen Einrichtung tätige Ehrenamtliche (d. h. bezüglich kirchlicher Veranstaltungen, der Veranstalterin oder des Veranstalters und aller weiteren Personen, die in leitender Rolle im Auftrag der Veranstalterin oder des Veranstalters an der Durchführung beteiligt sind).
[26] Vgl. Teil C Verfahrensordnung §18.b.
[27] Vgl. Kinderschutzrichtlinie der Katholischen Jungschar Österreichs.
[28] Z. B. Kinder- und Jugendanwaltschaften der Bundesländer (www.kija.at), Rat auf Draht, Frauennotruf, Gleichbehandlungsanwaltschaft, Erwachsenenschutzvereine, Volksanwaltschaft.
[29] Z. B. in den pfarrlichen oder diözesanen Medien.
[32] Zuständig ist die Stabsstelle Prävention jener Diözese, in der die Organisation (Verein, Gemeinschaft, Ordensleitung innerhalb Österreichs, …) kirchenrechtlich anerkannt oder zugelassen wurde.
[33] In schwerwiegenden Interessenkonflikten zwischen Stabsstellen können sich einzelne Stabsstellenleiterinnen und Stabsstellenleiter an den Beirat Opferschutz als Klärungsstelle/Schlichtungsstelle wenden.
[39] Z. B. Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Fachleute einer spezifischen Beratungseinrichtung, …
[40] Ausgenommen behördliche Ermittlungen, wie z. B. eine Hausdurchsuchung, werden dadurch behindert.
[41] Diözesane Ombudsstelle, Diözesane Kommission und Unabhängige Opferschutzkommission.
[42] Z. B. einen Grundkurs der Katholischen Jungschar oder Katholischen Jugend.
[43] Gemeint sind hier z. B. kirchliche Vereine, ordensähnliche Gemeinschaften, anerkannte Bewegungen, Konvikte, kirchliche Stiftungen, kirchliche Spitäler etc.
[44] Congregatio pro Doctrina Fidei, Normae de delictis Congregationi pro Doctrina Fidei reservatis seu Normae de delictis contra fidem necnon de gravioribus delictis (21.5.2010), in: AAS 102 (2010) 419-434 (in der geltenden Fassung). Im Folgenden: „Normae“. – Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, VADEMECUM zu einigen Fragen in den Verfahren zur Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker (Version vom 16.7.2020), in: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20200716_vademecum-casi- abuso_ge.html.
[45] Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung zur Schärfung der Identität: z. B. Aspekte einer Gutachtertätigkeit, Glaubhaftigkeitskriterien, …
[46] In der Regel, d. h., sofern sich aus dem Zusammenhang oder explizit nichts anderes ergibt, sind damit „höhere Ordensobere“ gem. can. 620 CIC gemeint: „Höhere Obere sind jene, die ein ganzes Institut oder eine Provinz oder einen ihr gleichgestellten Teil desselben oder eine rechtlich selbstständige Niederlassung leiten; desgleichen deren Stellvertreter. …“. – Wenn von „kirchlichen Oberen“ gesprochen wird, sind Ordinarien sowohl der Diözese als auch der Ordensinstitute gemeint.
[47] Vgl. can. 134 § 1 CIC: „Unter der Bezeichnung Ordinarius versteht man im Recht außer dem Papst die Diözesanbischöfe wie auch andere, die, wenn auch nur für eine Übergangszeit, Vorsteher einer Teilkirche oder einer dieser gem. can. 368 gleichgestellten Gemeinschaft sind und diejenigen, die in diesen allgemeine ordentliche ausführende Gewalt besitzen, nämlich die Generalvikare und die Bischofsvikare; und ebenso, für ihre Mitglieder, diejenigen höheren Oberenklerikaler Ordensinstitute päpstlichenRechtesund klerikaler Gesellschaften des apostolischen Lebens päpstlichen Rechtes, welche wenigstens ordentliche ausführende Gewalt besitzen.“
[48] „Begründung“ im Sinne einer Erläuterung zur Nachvollziehbarkeit der Entscheidung der Unabhängigen Opferschutzkommission in der Diözesanen Kommission und in der Stiftung Opferschutz.
[49] Art. 6 § 1 Z. 1 Normae.
[50] Zur Verjährung im staatlichen Recht siehe § 78 Verfahrensordnung.
[51] Gemäß c. 1720 CIC sind dem Beschuldigten die Anklage und Beweise bekannt zu geben und ihm die Möglichkeit zur Verteidigung einzuräumen, außer er versäumt unentschuldigt die Ladungstermine. Die Beweise und Begründungen sind mit zwei Beisitzern sorgfältig abzuwägen, um ein Strafdekret zu erlassen, sofern die Straftat sicher feststeht und die Strafklage noch nicht verjährt ist.
Hier können Sie die neu überarbeitete Rahmenordnung "Die Wahrheit wird euch frei machen" (Stand September 2021) für die katholische Kirche in Österreich einsehen und
Seit 2010 hat die Unabhängige Opferschutzkommission 3.279 Fälle entschieden. In 3.013 Fällen wurde zugunsten der Betroffenen entschieden. Insgesamt handelt es sich um 3.450 Betroffene von physischer und/oder sexueller Gewalt, davon 2.156 Männer und 1.294 Frauen
Den Betroffenen wurden bisher in Summe 36,56 Mio. Euro zuerkannt, davon 28,87 Mio. Euro als Finanzhilfen und 7,69 Mio. Euro für Therapien. Die Kirche hat alle Entscheidungen der "Klasnic-Kommission" umgesetzt. In 266 Fällen wurden keine Leistungen zuerkannt.
Die Betroffenen haben insgesamt 8.047 Vorfälle gemeldet, das heißt, dass die Mehrheit von zwei oder mehr Übergriffen betroffen war. 79% der Betroffenen berichten von körperlicher Gewalt, 28% von sexueller Gewalt und 11% von körperlicher und sexueller Gewalt, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. 62,5% der Betroffenen sind männlich, 37,5% weiblich.
Die meisten Vorfälle sind rechtlich verjährt und haben sich hauptsächlich in den 1960er- und 1970er-Jahren ereignet (0,4% der Fälle lassen sich zeitlich nicht zuordnen): 12,5% der Fälle sind in den 1950er-Jahren und früher geschehen, 35% in der 1960er-Jahren, 34,2% in den 1970er-Jahren, 11,7 % in den 1980er-Jahren, 4,6% in den 1990er-Jahren und 1,6% seit 2000.
62,7% der Betroffenen waren zum Zeitpunkt der Übergriffe 6-12 Jahre alt, 28% 13-18 Jahre, 7,6% waren jünger als 5 Jahre, 1,4% waren über 18 Jahre, 0,3% sind nicht näher definiert. 72,6% der Betroffenen wurde 1965 oder davor geboren und sind somit heute rund 60 Jahre oder älter.
(Stand: 30. Juni 2024)
Maßnahmen der Katholischen Kirche in Österreich gegen Missbrauch und Gewalt - Ein Überblick